Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 - Im Lande des Mahdi II

28 - Im Lande des Mahdi II

Titel: 28 - Im Lande des Mahdi II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
haben gefleht und geweint; aber was bedeutet die Träne einer Frau? Das Weib hat keine Seele und kann also auch nicht in den Himmel kommen.“
    „Wohin führst du diese Sklaven?“
    „Nach Faschodah zu einem Mann, welcher mir meinen Reqiq regelmäßig abnimmt.“
    Er hatte mir eine andere Antwort, vielleicht eine genaue Auskunft geben wollen, sich aber unterbrochen. Er traute mir also doch nicht ganz.
    „Warst du schon oft in Faschodah?“ fragte ich weiter.
    „Ich ziehe nach jedem sechsten Monat hin, um Reqiq zu verkaufen. Wohin wird denn dich deine jetzige Reise führen, o Mudir?“
    „Zunächst nach Makhadat el Kelb, wo ich über den weißen Nil setzen werde, um das Volk der Fungi, dem ich predigen will, aufzusuchen.“
    „Wirst du auch nach Faschodah kommen?“
    „Jetzt nicht, vielleicht aber später.“
    Nun hatte die Sonne scheinbar den Horizont berührt, und also war die Zeit des Mogreb-Gebets gekommen. Die Leute, welche gegessen hatten, selbst auch die aneinander gebundenen Gefangenen, erhoben sich auf die Knie, und aller Augen richteten sich auf mich. Der Vornehmste hat nämlich stets das Gebet zu sprechen, und die andern fallen nur an gewissen Stellen ein. Das war ein kritischer Augenblick für mich. Ich hatte schon sehr oft mit Mohammedanern gebetet, aber natürlich nicht laut und nicht zu Allah und den Propheten; aber jetzt so vielen Leuten die verschiedenen Verbeugungen vorschreiben und die Fattha, die vorgeschriebenen Koranverse, den Gruß an Mohammed und den Erzengel, vorbeten, das war unmöglich; das wäre eine große, große Sünde gewesen. Aus dieser Verlegenheit zog mich Ben Nil, indem er sagte:
    „Mudir, du hast stets nur die drei Tagesgebete gesprochen und mir die beiden Gebete des Abends überlassen. Erlaubst du, daß es auch heute so geschieht?“
    „Ja, bete vor, o Chatib, du Liebling des Propheten“, antwortete ich. „Deine Worte gehen denselben Weg wie die meinigen und werden das Ziel, nach welchem jedes Gebet gerichtet ist, ebenso erreichen, als ob sie aus meinem eigenen Mund kämen.“
    Als das Mogreb gesprochen war, aß ich mit Ben Nil. Die Takaleh wandten dabei ihre Gesichter zur Seite, um mich nicht essen zu sehen, wie es einem vornehmen oder frommen Mann gegenüber die Höflichkeit vorschreibt. Da ich mich darauf schweigsam verhielt, wagte Schedid es nicht, zu sprechen; auch die anderen waren vollständig still, denn sie hielten mich und meinen jungen ‚Prediger‘ für in fromme Gedanken versunken, in denen man uns nicht stören dürfe.
    Dann ging der Mond auf und warf die Schatten der Baumwipfel über uns. Zu meiner Rechten lag die sterile, erbarmungslose Wüste, und zu meiner Linken glänzten wie winzige Elfenleiber die Blüten jener ewig ruhelosen Pflanzen auf dem Wasser, welche nicht im Boden wurzelt und deshalb immerwährend ihren Standort ändert. Sie kommt besonders im Tsadsee in großen Mengen vor, und die Bewohner von Bornu und Baghirmi singen ein Ruderlied, eine allerliebste Gondoliera von ihr, welche deutlich beweist, daß auch jene Völker poesiereich sind. Das Lied würde, frei ins Deutsche übersetzt, lauten:
    „Es treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.
Er breitete die Netze aus
Im klaren Mondesschein,
Sang in die stille Nacht hinaus
Und träumte sich allein.
Da rauscht es aus den Fluten auf,
So geisterbleich und schön;
Er hielt den Kahn in seinem Lauf
Und ward nicht mehr gesehn.
Nun treibt die Fanna heimatlos
Auf der bewegten Flut,
Wenn auf dem See gigantisch groß
Der Talha Schatten ruht.“
    Anstatt in die Tiefe des Islam versunken zu sein, dachte ich beim Anblick der hellen Blüten der ‚heimatlosen Fanna‘ an dieses Lied und an den Schauplatz desselben, wo nächtlicherweile Löwen, Elefanten, Nashörner und Nilpferde, die Riesen der Tierwelt, friedlich einander am Ufer begegnen; friedlich, aber nur aus Furcht, dem gewaltigen Gegner unterliegen zu müssen. Da unterbrach einer der Takaleh die Stille, indem er, hinaus in die Wüste deutend, rief:
    „Ein Mann, ein Reiter; wer mag er sein?“
    Es kam wirklich jemand geritten, und zwar gerade auf die ‚Furt des Schattens‘ zu. Er mußte sie genau kennen. Er schien aus Nordost, also vom Nil herzukommen, während unsere Richtung eine nordwestliche gewesen war. Sein heller Burnus glänzte im Mondschein. Unser Feuer brannte; er mußte es sehen. Daraus, daß er trotzdem so unbedenklich näher kam, ließ sich vieles schließen. Erst als er

Weitere Kostenlose Bücher