28 - Im Lande des Mahdi II
vergeblich nach dem Leben getrachtet; nun aber stand es schlimm um uns. Was war zu tun?
Fünf Arnauten hielten Ben Nil; er konnte nicht los; neun andere, dazu den Sangak, den Muza'bir und den Mokkadem, also zwölf Personen, mußte ich auf mich nehmen, wenn ich durchkommen wollte. Draußen in den andern Zimmern und Räumen gab es jedenfalls noch mehr Arnauten. Dazu die eisernen Türen, meine Unbekanntschaft mit dem Innern des Hauses und die Unbrauchbarkeit meiner Waffen. Indem ich in einem einzigen Augenblick dies alles genau abwog, wußte ich, was ich zu tun hatte.
„Wer bist du, Hund?“ schnauzte der Sangak Ben Nil an. „Warum treibst du dich bei meinem Haus herum?“
Der Gefragte hatte mich noch nicht gesehen. Vielleicht glaubte er, sich durch eine einfache Lüge retten zu können, denn er antwortete:
„Herr, ich hatte nichts Unrechtes vor. Ich bin Matrose auf einem hier ankernden Schiff und –“
„Lüge, Lüge!“ fiel ihm der Mokkadem in die Rede. „Glaube es ihm nicht, o Mudir! Wir kennen ihn.“
„So? Dann sagt, wer er ist.“
„Herr, wie frohlockt unser Herz, und wie wirst du staunen! Wir haben den Freund und Genossen unseres grimmigsten Gegners, den Allah verfluchen möge, gefangen.“
„Welches Gegners?“
„Des Effendi, des Christenhundes! Dieser junge Mensch ist nämlich Ben Nil, von dem wir dir erzählt haben, Ben Nil, der treue Begleiter des Effendi. Wo der eine ist, ist auch der andere, und da wir Ben Nil hier gefunden haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß auch sein Herr in Faschodah ist.“
„Ist's möglich? Ben Nil soll das sein?“ rief der Sangak im Ton des Zweifels aus.
„Ja, ja! Wir irren uns nicht; wir kennen ihn ganz genau. Laß ihn hauen, laß ihn peitschen, bis er uns sagt, wo sich sein Herr befindet!“
„Das ist nicht nötig“, sagte ich, indem ich aus der Ecke hervortrat. „Ich kann es euch selbst sagen, wo ich bin.“
Der Eindruck, den diese Worte machten, war ein ganz anderer, als ich erwartet hatte. Ich wollte mich ohne Gegenwehr ergeben, da ich dieselbe für unsinnig hielt; ich rechnete dabei auf spätere bessere Umstände. Ich glaubte, man würde sich sogleich auf mich werfen und mich niederreißen; aber es fand das gerade Gegenteil statt.
„Der Effendi, der Effendi selbst!“ schrie der Muza'bir. „Er ist mitten unter uns! Allah beschütze uns! O Allah, Allah!“
Die erschrockenen Menschen standen steif wie die Marmorbilder. Einige sperrten die Mäuler auf; keiner aber machte eine Bewegung, sich an mir zu vergreifen. Das mußte ich benutzen. Zwei Sprünge brachten mich zu Ben Nil. Ich riß ihn los und schleuderte ihn zur Tür hinaus, so daß die Arnauten nach links und rechts zurückflogen. Nun auch mir mit Fausthieben und -stößen Bahn brechend, drang ich ihm nach. Ich kam hinaus. Hinter mir hatte man sich gefaßt.
„Heraus, Arnauten, heraus!“ rief die gewaltige Baßstimme des Sangak. „Haltet die Flüchtlinge, haltet sie!“
Ben Nil war vor der Tür niedergestürzt und hatte sich noch nicht erhoben. Ich stolperte über ihn. Uns gegenüber wurde die Tür aufgestoßen und mir an den Kopf geschlagen. Arnauten kamen heraus. Hinter uns drängten die andern. Mir flimmerte es vor den Augen; der Schlag der Tür hatte mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ich fühlte mich ergriffen; ich rang mit zehn, mit zwanzig Fäusten; ich stieß und schlug um mich; ich trat mit den Füßen nach rechts und links, nach hinten und vorn – vergeblich. Wir wurden niedergerungen und in das Empfangszimmer geschleift, wo man uns fesselte.
Der Auftritt ließ sich unmöglich beschreiben. Ich kochte vor Anstrengung, Ben Nil ebenso; aber auch die Arnauten standen keuchend und mit fliegendem Atem um uns herum. Der Sangak schob sie auseinander, so daß er zu uns konnte, wirbelte mit den Händen seinen langen Schnurrbart rechts und links in die Luft hinaus und rief in höhnischem und zugleich triumphierendem Ton:
„Welch ein Tag! Welch eine glückliche Stunde! Welch eine Überraschung! Haben meine Ohren denn recht gehört? Ja, denn dieser Mann würde nicht versucht haben, zu entfliehen, wenn er nicht derjenige wäre, als welcher er bezeichnet wurde.“
„Pah!“ antwortete ich ihm. „Ich habe ja selbst zugegeben, daß ich es bin.“
„Also doch! Und welch eine Frechheit, welch eine Unverschämtheit, es auch noch zuzugeben! Hebt die Kerle auf und stellt sie an die Wand! Ich muß sie mir jetzt einmal näher betrachten.“
Man folgte diesem Gebot.
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