28 - Im Lande des Mahdi II
frei wären.“
Da ich die Hände frei hatte, war es nicht schwer, mir auch die Füße frei zu machen und mich von dem Nagel loszuschneiden. Dasselbe tat ich dann auch mit Ben Nil. Wir standen jetzt aufrecht. Ich hob die Matte, welche die Decke bildete, ein wenig in die Höhe und sah hinaus.
Noch schien der Mond. Wir lagen am rechten Ufer des Flusses. Unweit vom Schiff sah ich die phantastischen Gestalten von drei nebeneinanderstehenden Armleuchtereuphorbien. Das mußte mir später als Merkmal dienen. Auf dem Deck lagen die Schläfer. Der Türke stand mit seiner Schwester hinten am Steuer und blickte mit ihr, über das Geländer gebeugt, in die Flut hinab. Das Boot mußte auf der Wasserseite hängen. Das Schiff war mit einem Bug- und einem Quarteranker befestigt. Die Kette des ersteren hing an einem starken Eisenring, welcher an der innern Bugwand, also an unserm Gefängnis angebracht war.
„Es steht alles sehr gut“, sagte ich. „Wir klettern an dieser Kette über Bord. Kein Mensch achtet auf uns. Haben wir das Wasser erreicht, so schwimmen wir nach dem Boot.“
Ich schob die Matte über uns ganz weg und schwang mich über die Brüstung, um jenseits an der Kette hinabzuklettern. Ben Nil folgte mir. Es war gar keine Kunst, hinunterzukommen. Daß wir naß wurden, konnte uns in diesem Klima nur lieb sein.
Wir hielten uns im Schwimmen natürlich so nahe wie möglich an die Schiffswand, damit man uns nicht von oben sehen könne. Auch hüteten wir uns, zu plätschern. Das Boot, welches wir suchten, hing hinten an der dem Wasser zugekehrten Seite des Schiffes. Nun fragte es sich, ob man die Ruder liegen gelassen hatte. Als wir es erreichten, sahen wir zu unserer Freude, daß sie darin lagen. Wir stiegen ein.
„Nun schnell fort, Effendi!“ meinte Ben Nil. „Wir sind wieder frei und wollen uns keinen Augenblick hier aufhalten.“
Er setzte sich auf die Ruderbank und wollte den Riemen gegen die Schiffswand stemmen, um von dem Schiff abzukommen, als man uns bemerkte.
„Der Effendi ist los!“ schrie Murad, „er will entkommen! Da unten ist er im Boot. Auf, ihr Männer, zur Verfolgung! Tausend Piaster jedem, der ihn mir bringt!“
Vom Deck ertönten wirre Stimmen. Man beeilte sich, in das Boot zu kommen, welches zum Schiff gehörte und jedenfalls hinten am Steuer hing, so daß wir es nicht gesehen hatten.
„Schnell, schnell!“ schrie er. „Zweitausend, dreitausend Piaster, wenn ihr ihn wieder fangt!“
„Zehntausend Piaster demjenigen, der mich ergreift!“ lachte ich als Antwort. Dann tauchte ich die Ruder ein, Ben Nil folgte meinem Beispiel, und unser Boot flog, wie von einer Sehne geschnellt, flußabwärts. Es verstand sich ganz von selbst, daß man uns flußaufwärts geschafft hatte. Also mußten wir, um nach Faschodah zu kommen, die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Wir konnten schon nach kurzer Zeit das Schiff nicht mehr sehen.
Ben Nil war ein ausgezeichneter Ruderer; auch ich hatte gelernt, einen Riemen zu gebrauchen, und so hatten wir keine Sorge, daß man uns einholen werde. Schon nach einer Viertelstunde ließen wir in unserer Anstrengung nach, da es gar nicht nötig war, eine solche Schnelligkeit zu entfalten.
Nach meiner Ansicht war es, als man uns bei dem Sangak gefangennahm, ungefähr zehn Uhr abends gewesen. Ein Blick nach dem Himmel zeigte, daß es jetzt vielleicht morgens drei Uhr sei. Waren wir eine Stunde auf dem Schiff gewesen, so hatte die Fahrt nach demselben vier Stunden gedauert, eine Zeit, welche mir wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Da man flußabwärts schneller vorwärts kommt, rechnete ich drei Stunden auf unsere Fahrt; also mußten wir Faschodah gegen sechs Uhr erreichen.
Man kann sich leicht denken, in welcher Stimmung wir uns befanden. Ben Nil jubelte zuweilen laut auf. Ich blieb zwar still, doch war meine Freude nicht geringer als die seinige. Und wem hatten wir unsere Rettung zu verdanken? Der Auflösung eines einfachen, wohlbekannten Satzes, mit welcher ich einst die kahle Stelle auf dem Kopf der Schwester des Türken befeuchtet hatte. Damals dachte ich nicht, daß mich dieses später aus solcher Not erlösen werde. Die Schwester war doch ein gutes, dankbares Mädchen. Ich nahm mir vor, alles aufzubieten, um zu verhindern, daß sie Ibn Asls Frau werde.
Als der Morgen graute, hatten wir uns Faschodah soweit genähert, daß wir es liegen sahen. Ein kleines Segelboot kreuzte auf dem Fluß hin und her, welches nur einen Mann trug. Als dieser uns bemerkte, hielt er
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