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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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mittlerweile so verdreckt, dass man weder die Farben noch die Punkte erkennen konnte.
    «Rebecca hatte sich im Waisenhaus versteckt, als die Deutschen kamen.»
    Ich verkniff es mir zu sagen, dass das sehr klug von ihr gewesen war. Viel besser, als mit einer wehenden Fahne in den Viehwaggon zu steigen.
    «Was hat sie in der Hand?», fragte ich stattdessen.
    «Ihre Lieblingsmurmel. Die lässt sie nie los.»
    Die Augen des Mädchens funkelten nun feindselig, als ob sie mir das Gesicht zerkratzen würde, wenn ich ihrer Murmel auch nur zu nahe käme. Nein, nicht als ob. Sie würde es ganz bestimmt tun.
    «Seid ihr die ganze Zeit zusammen gewesen?», wollte ich von Daniel wissen.
    «Ich hab sie versteckt und bei Többens gearbeitet, damit wir beide was zu essen haben.»
    Ich wollte ihn fragen, ob er in der Zwischenzeit nach mir gesucht hatte. Doch dann hätte ich zugeben müssen, dass ich mich nicht auf die Suche nach ihm gemacht hatte.
    «Und du?», fragte Daniel.
    «Ich habe mich gleich nach der Aktion dem Untergrund angeschlossen.»
    «Was ist mit Hannah?»
    Ich antwortete nicht.
    «Das … tut mir leid», sagte er aufrichtig und wollte meine Hand zum Trost nehmen. Aber ich zog sie weg. Dabei erkannte Daniel, dass ich einen Ehering trug.
    «Du … du bist verheiratet?», fragte er, und auch wenn er sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen, versetzte ihm das sichtlich einen Stich.
    «Nicht wirklich», antwortete ich.
    «Wie kann man denn nicht wirklich verheiratet sein?»
    «Indem man es aus Tarnung tut.»
    «Aber ihr beide …» Er deutete auf Amos, von dem er instinktiv und sehr richtig annahm, dass er mein Ehemann war.
    «Ja», antwortete ich. «Wir beide.»
    Das gefiel Daniel nicht.
    Mir gefiel es nicht, dass es ihm nicht gefiel. Hatte er erwartet, dass ich immer nur ihn lieben würde, auch wenn ich davon ausgehen musste, er wäre tot?
    Ich wurde wieder wütend, auch und gerade weil ich mich schuldig fühlte, nicht nach ihm gesucht zu haben.
    «Schließt du dich uns an?», fragte ich. Ich wollte nicht mehr über Amos und mich reden.
    «Nein», antwortete Daniel knapp.
    «Warum nicht?»
    «Ich glaube nicht ans Töten.»
    «Du glaubst nicht dran? Du glaubst nicht daran? Die SS glaubt daran!»
    «Ich weiß.»
    «Und wir geben unserem Volk die Würde zurück, indem wir uns wehren!»
    «Es gibt Wichtigeres als die Würde.»
    «Und was soll das bitte schön sein?»
    «Das Überleben.»
    Für einen kurzen Moment ließ mich das verstummen, dann sagte ich fassungslos: «Du wolltest doch in die Waggons. Und jetzt ist dir dein Überleben mit einem Mal wichtiger als alles andere?»
    «Nein, nicht meins», erwiderte er und drückte die kleine Rebecca an sich. Ihretwegen wollte er nicht kämpfen? Als ob die beiden überleben würden! Sollte ich das laut sagen? Schließlich war das Mädchen ein kleines Kind, und es wäre grausam, in ihrer Gegenwart auszusprechen, dass wir alle, auch sie, sterben würden. Andererseits, was würde es bringen, sie anzulügen oder zu schonen? Sicherlich wusste es die Kleine ohnehin. Zumindest instinktiv.
    «Wir werden alle sterben», sagte ich also. «Es kommt nur darauf an, wie.»
    «Den Heldentod?» Daniel lächelte spöttisch.
    «Wenn du es so nennen willst.»
    «So nennt ihr es selbst in euren Untergrundblättern», hielt er entgegen. «Aber es ist nichts Heldenhaftes daran, andere zu töten.»
    «Aber mit einer wehenden Fahne in den Viehwaggon zu steigen?», hielt ich zornig dagegen.
    Jetzt wurde auch Daniel wütend: «Korczak war für die Waisen da bis zuletzt. Und das ist mutiger als das, was ihr tut.»
    Ich war zu weit gegangen. Es war nicht richtig von mir gewesen, den alten Mann anzugreifen. Vielleicht, ganz vielleicht, hatte Daniel sogar recht, und es war wirklich mutiger, mit Menschen, die man liebte, in den Tod zu gehen, als mit einer Waffe in der Hand das eigene Ende herbeizuführen.
    Hätte ich so viel Mut besessen, an Hannahs Seite zu sterben? Oder wäre ich weggelaufen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergeben hätte?
    «Ich werde alles dafür tun, dass sie lebt, wir müssen nicht sterben», erklärte Daniel mit Blick auf Rebecca, die ihrerseits ihren Schatz betrachtete, der jetzt in ihrer offenen Hand lag: Eine blau-weiße Murmel.
    Dieses kleine Mädchen war die einzige Überlebende von Daniels Waisenhausfamilie, seine Schwester. Deswegen weigerte er sich, auch nur eine Sekunde daran zu denken, er könne sie ebenfalls verlieren. Das verstand ich. Wenn Hannah noch leben würde,

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