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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Deswegen war Amos also aufs Dach gerannt. Er wollte den Anführer unserer Feinde höchstpersönlich töten.
    Der Cocktail explodierte zwanzig Meter entfernt von Generalleutnant Stroop, der bei der Explosion noch nicht einmal zusammenzuckte.
    Amos warf einen weiteren Cocktail, noch energischer. Sein Wille zur Rache verlieh ihm die Kraft eines Olympioniken. Diesmal waren es nur noch etwa zehn Meter Abstand. Das beeindruckte den SS -Hünen dann doch. Er bellte seinen Soldaten etwas zu. Bestimmt, dass sie das Dach, von dem aus die Cocktails geworfen wurden, noch genauer ins Visier nehmen sollten. Doch über den Lärm der Explosionen schien ihn keiner zu hören.
    Ich hörte auf zu schießen, schaute nur noch gebannt zu Amos, der mit einem dritten Molotowcocktail Anlauf nahm und ihn noch weiter schleuderte als die bisherigen. Dieser Cocktail detonierte in unmittelbarer Nähe von Stroop. Der SS -Mann zuckte erschrocken zusammen, rang mit sich. Sollte er bei seinem Kartentisch bleiben? Er wollte ja seinen Mannen Mut und Standhaftigkeit demonstrieren, und wenn er jetzt wegrennen würde, wie würde sich das dann auf seine Leute auswirken?
    Aber ganz in seiner Nähe brannte es bereits, und auch wenn er Amos, der gerade den vierten Cocktail vorbereitete, nicht sehen konnte, wurde es dem Generalleutnant dann doch im wahrsten Sinne des Wortes zu heiß. Eilig, aber um Fassung bemüht, hastete er von seinem Kartentisch weg. Sekunden später ging der Tisch in Flammen auf.
    Amos jubelte laut, und ich jubelte mit ihm. Auch wenn er Stroop nicht erwischt hatte, dieser brennende Tisch war eine noch größere Demütigung der Deutschen als ein brennender Panzer.
    In diesem Moment hörte ich vom Balkon unter mir Ben Rothaar schreien: «Das Haus brennt! Das Haus brennt!»
    Unten auf der Straße warfen Soldaten Brandgranaten in den Eingang, und erste Flammen schossen bereits in der unteren Etage aus den zerborstenen Fenstern hervor.
    «Wir können hier nicht bleiben», befand Amos, und alle gaben ihm recht. Es machte keinen Sinn, hier den Flammentod zu sterben. Wir mussten fliehen und uns eine neue Stellung suchen, von der aus wir weiterkämpfen konnten.
    Eilig verließen wir das Dach und liefen in das Treppenhaus. Selbstverständlich konnten wir nicht unten zur Vordertür herausrennen. Selbst wenn wir heil an den Flammen, die bereits das erste Stockwerk erobert hatten, vorbeikämen, was unwahrscheinlich war, würden wir auf der Straße von den Soldaten niedergemäht. Die Kampfgruppe um Rachel war jedoch auf eine Flucht vorbereitet. Wir würden durch die Löcher in den Dachböden in das Haus Gęsia-Straße  6 fliehen und dort den Kampf fortsetzen. Rachel hatte bereits einen Melder vorausgeschickt, um festzustellen, ob die Luft rein war.
    Sie war es nicht.
    Der Melder namens Avi, ein ehemaliger Judenpolizist, der sich in den Tagen, als die ersten Züge Richtung Treblinka fuhren, dem Widerstand angeschlossen hatte – warum nur hatte mein Bruder nicht diesen Anstand besessen? –, stand schwitzend vor uns und rieb sich verzweifelt seinen feuerroten Bart: «Die Deutschen haben die Gęsia  6 besetzt.»
    Wir alle starrten uns entsetzt an. Von unten krochen Flammen die Treppen herauf, nahmen Stufe um Stufe in Besitz, und wir konnten nirgendwo hin.
    Rachel behielt als Einzige die Ruhe: «Du …», sie zeigte auf Avi, «und du», sie zeigte auf Ben Rothaar, «ihr sucht nach anderen Wegen.»
    Dass sie sich in diesem Moment im Feuer die einzigen beiden Rothaarigen von uns ausgesucht hatte, war gewiss nicht bewusst geschehen. Die beiden rannten los, um im Haus nach Fluchtwegen zu suchen, während wir anderen Kämpfer uns in einem dunklen Dachbodenraum versammelten. Die Hitze des Feuers ließ uns schwitzen, der Qualm machte das Atmen schwer. Wir schlugen das kleine Dachbodenfenster ein, aber es half nicht. Im Gegenteil. Jetzt zog der Rauch auch von außen in den Raum. Wir husteten, und vor lauter Angst sagte ich leise: «Jetzt werden wir doch vergast und verbrannt.»
    Amos packte mich. Anstatt mich zu beruhigen, schüttelte er mich und wies mich barsch zurecht: «Red nicht so!»
    Er hatte recht. Ich musste mich zusammenreißen, durfte die anderen nicht mit meiner Panik anstecken. In diesem Moment kehrte Avi zu uns zurück.
    «Und?», fragte Rachel.
    «Nichts», antwortete er niedergeschlagen. «Kein Ausweg.»
    Es ist schwer, sich zusammenzureißen, wenn man kurz davor ist zu verbrennen.
    Der Qualm wurde von Sekunde zu Sekunde dichter. Unsere Augen

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