28 Tage lang (German Edition)
tränten. Aber noch war Ben Rothaar nicht zurückgekehrt und damit auch die letzte Hoffnung noch nicht gestorben.
Ich musste husten, viele andere auch. Selbst Amos, der sich so sehr bemühte, keine Schwäche zu zeigen, röchelte.
Das Feuer fraß sich nun zusätzlich von oben durch das Gebälk. Anscheinend hatten die Soldaten auch Brandgranaten aufs Dach geworfen. Brennendes Holz stürzte auf uns herab. Doch niemand schrie, obwohl sicherlich allen danach zumute war. Jeder beherrschte sich. Selbst als sich der Fußboden zu krümmen begann.
«Da drüben!», rief Esther.
Durch das offene Dachbodenfenster sahen wir im Haus gegenüber SS -Leute. Ohne zu zögern, schossen Esther, Rachel und Avi, die allesamt am nächsten zum Fenster standen, auf die Soldaten. Die feuerten erst zurück, allerdings ohne zu treffen, und rannten davon. Der Schusswechsel lenkte uns kurz davon ab, dass wir in den Flammen gefangen waren.
Ben Rothaar stürmte hinein: «Ich glaube, ich habe einen Weg in die Nalewki 37 gefunden.»
«Du glaubst?», fragte Rachel und hustete.
«Ich bin ihn nicht ganz gegangen. Die Zeit ist zu knapp.»
«Glauben ist besser als verrecken», befand Rachel.
Wir alle gingen langsam aus dem Dachbodenraum in das Treppenhaus, in dem man vor lauter Rauch kaum noch etwas sehen konnte, geschweige denn atmen, und von dort aus in einen anderen Bodenraum, in dessen Wand sich ein kleines Loch zum Nebenhaus befand. Dieses Loch war kein von vornherein gebauter Fluchtweg, sondern schlicht und ergreifend ein Schaden am Bau. Das Loch war so schmal, dass es mir erst unmöglich erschien, sich dort hindurchzuzwängen. Doch ein Kämpfer nach dem anderen schaffte es. Als ich an der Reihe war, steckte ich mit einem Mal fest. Meine Schulter war verkeilt. Panik stieg in mir hoch. Ich schrie: «Ich will nicht … ich will nicht …!»
«Du wirst auch nicht!», brüllte Amos mich an und drückte mich durch das Loch. Für einen Moment dachte ich, meine Schulter würde brechen, aber dann stolperte ich in das andere Haus. Doch auch hier gab es schon Rauch, die SS hatte dieses Gebäude ebenfalls in Brand gesteckt.
Wir gingen mehr tastend als sehend, hielten dabei die Luft an, damit der Qualm uns nicht die Lungen verätzte, und zwängten uns durch eine Ritze auf den Dachboden des nächsten Hauses. Das war noch nicht von den Flammen ergriffen. Aber selbst da waren wir noch nicht in Sicherheit, das Feuer würde bald überspringen.
Wir krabbelten durch eine Luke auf das Dach. Dort robbten wir – wir durften keine Zielscheibe für die Soldaten abgeben – zum benachbarten Haus, und von da sprangen wir auf das Dach des übernächsten.
«Irgendwo hier muss ein Bunker sein», erklärte Avi.
Wir vom ŻOB hatten es versäumt, Ausweichbunker zu bauen. Während die Zivilisten überall im Ghetto Bunker errichteten, hatten wir uns auf die Vorbereitung des Aufstandes konzentriert: Waffen besorgen, Kollaborateure liquidieren, den Kampf trainieren … Über weitere Verstecke hatten wir nicht mal ernsthaft nachgedacht. Warum auch? Wir hatten nie damit gerechnet, länger als einen Tag zu überleben. Egal wie sehr einige von uns auch von Masada schwadronierten, selbst die kühnsten Träumer hatten sich nicht vorstellen können, dass wir auch nur ansatzweise so lange durchhalten könnten wie unsere Vorfahren in ihrer Festung gegen die Römer.
Wie gern hätte ich gegen Römer gekämpft. Die wirkten im Nachhinein bei ihrer Christenverfolgung im Vergleich zu den Nazis regelrecht zivil.
Ob Avi wusste, dass es hier einen Bunker gab, oder ob es lediglich eine Vermutung von ihm war, wollte keiner von uns so genau wissen. Wir schwärmten alle im Haus und auf dem Hof aus, um nach einem verborgenen Eingang zu suchen, und es war Esther, die im Keller eine verborgene Tür fand. Ohne zu klopfen oder um Erlaubnis zu fragen, rissen wir Kämpfer sie auf und betraten einen stickigen Bunker, in dem etwa zwanzig Zivilisten, darunter viele Kinder, Zuflucht gefunden hatten. Wir warfen uns alle erschöpft auf den Boden. Bis hierher hatte ich gegen den Rauch in meinen Lungen angekämpft, doch nun hustete ich und würgte, bis ich mich erbrach. Aber das war mir einerlei. Wir waren vorerst in Sicherheit. Ich war nicht verbrannt.
«Haut ab!», schrie eine Frau hysterisch. Sie trug einen halb verhungerten Jungen im Arm und war selbst kaum mehr als ein Lumpenskelett.
«Verschwindet! Ihr bringt uns alle in Lebensgefahr!», keifte nun auch eine andere, ältere Frau mit
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