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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Schaulustigen nichts dagegen gehabt, wenn die SS auch noch hungrige Löwen ins Ghetto geschickt hätte.
    Die SS war stattdessen mit Spürhunden unterwegs. Wenn sie nicht gerade Haus um Haus in Brand steckten, suchten die deutschen Einheiten mit den Hunden nach den Bunkern. Bei dieser Suche halfen ihnen auch Kollaborateure – selbst jetzt gab es noch Menschen, die glaubten, sie könnten ihren Kopf aus der Schlinge ziehen, indem sie andere verrieten. Sogar Kinder wurden von den Soldaten ausgeschickt, um Verstecke zu finden. Zur Belohnung bekamen sie ein bisschen Essen.
    In den überfüllten Bunkern waren die Menschen tagsüber mucksmäuschenstill. Niemand wagte es, zu reden oder zu husten, aus Angst, das eigene Versteck zu verraten.
    Ben Rothaar, Amos und ich kehrten nach einer Schießerei, die wir nahe der Leszno-Straße geführt hatten und bei der wir keinen einzigen Deutschen töten konnten, dafür aber wertvolle Munition ließen, wieder in das Haus Miła-Straße  18 zurück.
    «Seht», flüsterte Ben Rothaar, als wir die Kellertreppe betraten, und zeigte auf einen Jungen mit Schiebermütze, der sich unten im Keller umsah.
    «Er sucht nach einem Versteck», flüsterte ich, während wir ihn von der Kellertreppe aus beobachteten.
    «Die Frage ist nur, ob er es für sich sucht oder für die SS », wisperte Amos. «Einen Block weiter ist eine Patrouille.»
    «Er hat den Bunker gefunden», stellte Ben Rothaar fest.
    Der Junge stand genau vor dem mit Backsteinen getarnten Eingang. Er ging aber nicht hinein. Zögerte.
    «Er wird uns verraten», stellte Amos fest.
    Ich wollte ihm sagen, dass er noch etwas mit seinem Urteil abwarten sollte. Wenn der Junge wieder gehen würde, könnten wir uns sicher sein, dass er von der SS geschickt worden war. Doch Amos wartete nicht und rief: «Kleiner!»
    Der Junge erschrak. Nicht so wie jemand, der lediglich eine Zuflucht sucht und dabei von einem Freund überrascht wird, sondern eher wie einer, der ein Versteck verraten wollte und von einem Feind ertappt wird.
    Wir gingen die Treppe herunter und bauten uns vor ihm auf.
    Langsam hob er die Hände.
    «Was … was machen wir mit ihm?», wollte Ben Rothaar wissen.
    «Erschießen», antwortete Amos.
    Der Junge wurde bleich.
    «Das ist nicht dein Ernst», sagte ich.
    «Es geht nicht anders», erwiderte Amos und zückte seine Pistole.
    «Natürlich geht das anders.»
    «Er wird uns verraten.»
    «Das weißt du nicht!»
    Der Junge hatte viel zu viel Angst, um sich zu verteidigen, flehte nur: «Bitte …»
    Und dass er sich nicht verteidigte, sprach nicht für ihn.
    Amos richtete seine Pistole auf den Jungen.
    Der bekam kein Wort mehr heraus.
    «Du bist wahnsinnig!», schrie ich Amos an. «Du kannst doch nicht ein Kind töten!»
    Amos antwortete nicht, seine Hand zitterte, aber er drückte den Pistolenlauf an die Stirn des Jungen.
    «Wenn wir das tun, dann sind wir nicht besser als die Deutschen!»
    Amos’ Hand zitterte immer mehr. Auf seine Stirn trat Schweiß.
    «Wenn ich es nicht tue, werden alle im Bunker sterben.»
    «Das wissen wir nicht!»
    «Kannst du das Risiko eingehen, Mira?»
    Ich konnte es nicht.
    Aber ich wollte es so sehr, dass ich sagte: «Wir müssen es.»
    Amos antwortete wieder nicht.
    Der Junge fing ganz leise zu weinen an und machte sich vor Angst in die Hose.
    «Was für ein Mensch willst du sein?», fragte ich Amos verzweifelt. «Einer, der ein Kind tötet?»
    Amos rang mit sich. Tränen traten in seine Augen. Seine Hand zitterte immer mehr, wie die eines alten kranken Mannes.
    «Amos …», flehte ich ihn an. «Wenn wir Menschen bleiben wollen …»
    Amos begann zu weinen. Und senkte endlich die Pistole.
    Der Junge begann vor Erleichterung laut zu schluchzen.
    Mir kamen ebenfalls die Tränen.
    Ich wollte beide umarmen. Amos. Und den Jungen.
    Da knallte ein Schuss.
    Der Junge brach vor uns auf dem Boden zusammen.
    Amos und ich blickten entsetzt zu Ben Rothaar, der sein Gewehr in der Hand hielt und stotterte: «Er … er … h… hätte a… a… alle … v… v… verraten!»
    Und wir alle drei begannen zu weinen.

65
    «Ihr tötet jetzt also auch Kinder?», fragte mich Daniel, während ich auf dem Boden des Bunkers ein Gewehr säuberte, das wir erbeutet hatten.
    «Die Deutschen sind daran schuld», antwortete ich, ohne zu ihm hochzublicken.
    «Die haben den Jungen nicht umgebracht», hielt Daniel dagegen.
    «Oh doch, das haben sie. Sie haben ihn zu uns geschickt», erwiderte ich und stand vom Boden auf.
    «Ihr

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