28 Tage lang (German Edition)
Daniels Hand. Im Gegensatz zu meiner war sie nicht feucht, sondern trocken und kühl. Er bewahrte mehr Ruhe als ich.
Während der Chauffeur auf seinem Sitz blieb, stiegen vier Männer aus dem Wagen: ein SS -Offizier, zwei Soldaten und ein Judenpolizist. Letzterer trug eine blaue Jacke, und über die war in Bauchhöhe ein schwarzer Gürtel gezogen. Es hätte auch eine braune Jacke mit braunem Gürtel sein können. Oder eine schwarze mit einem weißen. Eine einheitliche Uniform gab es für die Judenpolizei nicht, die Nazis stellten ihren Speichelleckern keine Kleidung, die mussten sie sich schon selbst besorgen, darunter auch die obligatorische Uniformmütze mit Davidstern. Zusätzlich zu dem Stern an der Armbinde trugen die Polizisten also einen weiteren, als ob sie doppelt so gute Juden wären wie wir anderen. Oder doppelt so erbärmliche.
Der Polizist ging auf den Eingang von Nummer vier zu, in der Hand einen Schlagstock. Die Deutschen gaben ihren untermenschlichen Helfershelfern selbstverständlich keine Pistolen oder Gewehre, dafür schwangen die Verräter umso brutaler die Stöcke gegen die eigenen Leute, um den Willen der Besatzer durchzusetzen.
Für mich war nicht zu erkennen, ob dieser Judenpolizist nicht vielleicht sogar mein Bruder war, dafür war ich zu weit weg und das Licht der Straßenlaternen zu schwach. Jedenfalls besaß der Mann da unten eine ganz ähnliche Statur. Ich hoffte so sehr, dass es sich dennoch nicht um Simon handelte. Es war das eine zu wissen, dass der eigene Bruder ein Schwein war, aber es war etwas anderes, ihm dabei zuzusehen, wie er für die Deutschen Menschen verhaftete.
Während die Männer im Haus verschwanden, flüsterte Daniel: «Das ist nicht dein Bruder.»
Daniel kannte meine Ängste.
Wir starrten auf das Haus Nummer vier. Wie furchtbar musste es jetzt für die Menschen sein, die darin wohnten? Die Soldaten rannten durch das Treppenhaus, und die Bewohner konnten nur hoffen, dass sie nicht die Tür zu ihrer Wohnung aufrissen, sondern die vom Nachbarn. Einen würde es erwischen.
In einer Wohnung im dritten Stockwerk ging das Licht an, und wir konnten durch das Fenster erkennen, dass die Soldaten die Tür eingetreten hatten. Ein kleiner Junge versteckte sich hinter seiner Mutter, während der SS -Mann einem vielleicht fünfzigjährigen Mann in Unterhemd seine Pistole vors Gesicht hielt. Der Judenpolizist packte sich den Mann und ließ es sich dabei nicht nehmen, ihm noch einen Schlag mit dem Knüppel mitzugeben.
So schrecklich dieser Anblick auch war, ein kleiner Teil von mir war erleichtert: Im Licht der Wohnung konnte ich erkennen, dass dieser Polizist nicht mein Bruder war. Der Gefangene im Unterhemd wurde aus der Wohnung geschleppt. Barfuß. Seine Frau redete auf den SS -Mann ein, der nickte nach einer Weile zustimmend, dann folgte sie den Männern mit ihrem Kind. Mir war nicht auf Anhieb klar, warum sie das tat, die Männer hatten es doch nur auf ihren Ehemann abgesehen.
«Sie will ihren Ehemann zum Pawiak-Gefängnis begleiten», flüsterte Daniel, «um zu sehen, was mit ihm geschieht.»
«Wer ist der Mann?», fragte ich leise, während in der nun leeren Wohnung das Licht weiter brannte.
«Moshe Goldberg, der Vorsitzende der Friseurgewerkschaft. Und vor allen Dingen einer der Anführer vom Bund.»
Der Bund war eine verbotene Organisation von sozialistischen Juden. Sie organisierten Suppenküchen, Untergrundschulen und schrieben Pamphlete gegen die Nazis. Papa hatte die Sozialisten nicht gemocht und uns jeglichen Kontakt mit ihnen verboten. Daher kannte ich mich mit dem Bund kaum aus, geschweige denn wusste ich, wer dessen Anführer waren.
Goldberg wurde auf die Straße geschubst und kam direkt unter einer Laterne zum Stehen. Im Lichtschein konnte ich seinen Gesichtsausdruck erkennen: Er blickte stoisch drein, wollte sich vor seinem kleinen Sohn, den die Mutter auf dem Arm trug, keine Angst anmerken lassen.
Gleich würden die Soldaten ihn in den Wagen schubsen, aus dem der Chauffeur gelangweilt seine Zigarette schnipste. Wenn Goldbergs Familie zusätzlich in das Auto hineinpassen sollte, müsste die Mutter ihren Sohn auf den Schoß nehmen.
Der SS -Mann baute sich vor dem Gefangenen auf und gab ihm einen Befehl. In Goldbergs Gesicht war mit einem Mal die nackte Angst zu erkennen.
Neben mir schluckte Daniel, der im Gegensatz zu mir zu begreifen schien, worum es ging: «Oh mein Gott.»
Daniel konnte trotz allem an Gott glauben.
Ich beneidete ihn um so
Weitere Kostenlose Bücher