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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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war hin- und hergerissen.
    Außer Leuten wie Amos glaubte niemand an die Vernichtung.
    Weil es einfacher zu ertragen war, nicht an sie zu glauben?
    Oder weil die in Wahrheit nur ein Hirngespinst war? Menschen in Lastwagen sperren und sie mit Abgasen zu ersticken … so krank konnten doch nicht mal die Deutschen sein.
    Aber egal, ob ich an die Vernichtung glauben sollte oder nicht, ich glaubte an das Überleben! Für das durfte ich kein Risiko eingehen. Und dafür müsste ich alles tun. Sogar mit meinem Bruder reden. Ihn anflehen, wenn es sein musste. Für Hannah. Für Mama. Und ja, auch für mich. Ich glaubte mehr an das Überleben als an den Stolz.
    Meine Schritte wurden wieder schneller, und kurz bevor ich in die Straße bog, in der das Hauptquartier der Judenpolizei lag, bekam ich auch noch mit, dass die Priester der zwei katholischen Kirchen im Ghetto – die Kirche der Allerheiligen und die Kirche der Heiligen Jungfrau Maria – aufgefordert worden waren, das Ghetto zu verlassen. Beide Kirchen wurden von Juden christlichen Glaubens besucht, die sich selbst nie als Juden bezeichnet hätten und dennoch aufgrund der verrückten Rassenideen der Deutschen den Stern tragen mussten. Fast alle Ghettobewohner hassten diese jüdischen Katholiken in unserer Mitte. Ich auch. Am schlimmsten war für mich noch nicht einmal, dass diese Leute von der Caritas extra Speiserationen bekamen, sondern dass ihre Kirchen wunderschöne Gärten hatten, in die wir nicht reindurften.
    Im ganzen verdammten Ghetto gab es gerade mal einen Baum, und der stand vor dem Judenratsgebäude. Kein Wunder also, dass Hannah so oft Geschichten erzählte, die von Pflanzen handelten, wie die von dem kleinen Mädchen Mascha, das in ihrer Wohnung einen sprechenden Baum unterm Bett versteckt hielt. Oder von dem behaarten Jungen namens Hans, der von einem Wolfsrudel großgezogen wurde und im Erwachsenenalter den Tieren beibrachte, dass es besser war, Pflanzen zu essen als kleine Hasen. Eine Haltung, die die Hasen in dem Wald übrigens sehr begrüßten.
    Korczak hatte den Priester der Kirche der Heiligen Jungfrau Maria einmal schriftlich gebeten, ob die Kinder des Waisenhauses an den Samstagen den Garten besuchen dürften, damit sie aus der Enge des Ghettos herauskommen und wenigstens für eine Stunde Kontakt zur Natur bekommen könnten. Zu einem Grün, das die Kleineren unter den Waisenkindern nie kennengelernt hatten. Doch der Priester kam der Bitte von Korczak nicht nach. Christliche Gärten waren nicht für Juden bestimmt. Jedenfalls nicht für welche, die nicht katholischen Glaubens waren.
    Was für ein Bastard.
    Warum wurde so einer nicht in den Osten deportiert?
    Nein, so was durfte man niemandem wünschen!
    Nicht mal einem Bastard, der jüdischen Waisenkindern nicht gönnte, ein einziges Mal in ihrem Leben an einer Blume zu riechen.
    Vor dem Gebäude der Judenpolizei standen unglaublich viele Menschen und wollten hinein. Ich hatte das Gefühl, dass es Hunderte waren, vermutlich waren es in Wahrheit eher nur sechzig bis achtzig, doch sie machten einen Lärm wie zehntausend. Einige wollten, dass ihre Verwandten aus dem Gefängnis befreit werden, andere brauchten irgendwelche Bescheinigungen, die sie vor der Umsiedlung bewahren würden und wiederum andere wollten, so wie ich, zu Judenpolizisten, die ihre Verwandten waren.
    Die Menge wurde von vielleicht zehn Polizisten vom Eingang ferngehalten. Alle hatten unterschiedliche Jacken an, aber mit ihren Mützen und Stiefeln wirkten sie dennoch wie eine uniformierte Macht. Mit Schlagstöcken prügelten sie auf jeden ein, der sich der Tür näherte.
    Juden schlugen auf Juden ein. Auf verzweifelte Juden.
    Es würde für mich kein Durchkommen geben, so viel war klar. Ich würde nur von den Knüppeln getroffen, die einige der Polizisten eher mechanisch schwangen, als ob sie keine Menschen wären. Oder vielmehr als ob die Menschen, denen sie auf die Rippen oder die Kniescheibe schlugen, keine Menschen wären, sondern Tische, Stühle oder Kommoden, die man zerschlug, um Holz für den Kamin zu bekommen.
    Also entfernte ich mich etwas von der Menge und näherte mich ein paar bereitstehenden Lastwagen, auf deren offenen Ladeflächen die SS -Soldaten, wenn sie bei ihren Einsätzen durch das Ghetto fuhren, saßen oder standen.
    Mit einem Mal teilte sich die Menge wie das Rote Meer bei Moses, und die Knüppel hörten auf zu kreisen. Angstvolle Stille kehrte ein, denn die Tür ging auf, und heraus traten nicht Moses und

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