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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Lärms, den die Krakówer machten, die Schritte der Polizisten nicht hörten, wussten wir, dass sie sich nun unserem Zimmer näherten.
    Vom Hof her hörten wir einen Mann, dessen Stimme ich nicht kannte, flehen: «Das sind doch meine Eltern! Lasst meine Eltern bei mir!» Eltern waren aber nun mal für die Deutschen keine Verwandte. Wir hörten den Mann schreien. Bestimmt wurde er niedergeknüppelt.
    Eine Frau rief über sein Gewimmer hinweg: «Mein Ehemann arbeitet aber bei Schulz!»
    «Hast du eine Bescheinigung?»
    «Die hat er doch bei der Arbeit!»
    «Dann kommst du mit!»
    «Nein! Nein! Er hat doch die Bescheinigung!»
    Diese Stimme kannte ich. Gehörte sie nicht der ehemaligen Apothekerin, die zwei Stockwerke unter uns wohnte? Oder der alten Scheindel, die Hannah immer Süßigkeiten zugesteckt hatte, solange sie sich noch welche hatte leisten können?
    Bevor ich mir darüber klarwerden konnte, wurde unsere Tür aufgestoßen, und zwei Judenpolizisten kamen mit Knüppeln hereingestürmt. Es waren ganz junge Männer. Wie Simon. Einer hatte hellbraune Haare, die ihm vor lauter Aufregung im Gesicht klebten, und der andere hatte einen kahl rasierten Schädel unter seiner Polizeimütze; sicherlich war er vor kurzem noch von Läusen geplagt worden.
    «Raus!», schrie der mit den klebrigen Haaren uns an.
    Ich blickte zu Mama. Sie war wie gelähmt. Warum zeigte sie, verdammt noch mal, nicht ihre Bescheinigung?
    «Raus!», schrie der mit dem klebrigen Haar wieder, während der Kahlrasierte schon den Knüppel zückte. Hannah kauerte sich schnell auf den Boden. Sie versuchte sich unsichtbar zu machen.
    Vergeblich.
    Da Mama kein Wort rausbrachte, sagte ich hektisch: «Sie hat Arbeit bei Többens!»
    «Zeig die Bescheinigung.»
    Mama bewegte sich immer noch nicht. Ich nahm den Zettel statt ihrer vom Tisch. Der schweißnasse Polizist sah ihn sich an. Hoffentlich würde er die Fälschung nicht erkennen.
    Mit einem Mal fiel mir etwas ein: Wenn Mama wirklich bei Többens arbeiten würde, hätte sie doch schon längst in der Fabrik sein müssen. Mäntel nähen, künstliche Blumen binden oder so etwas. Das musste der Polizist doch merken!
    Er starrte weiter auf das Papier. Jedoch nicht so, als ob er es wirklich prüfte, sondern eher, als ob er sich ganz kurz von all dem Wahnsinn in sich selber zurückzöge.
    «Wir müssen los», drängelte sein kahlrasierter Kollege.
    Der schweißnasse Polizist kehrte von seinem inneren Fluchtort zurück in die Wirklichkeit. Was würde er jetzt sagen? Würde er auf den Schwindel reinfallen? Oder würde er uns mitnehmen?
    Er öffnete den Mund und … sagte nichts.
    «Los jetzt!», drängelte sein Kollege noch mehr.
    «Die Papiere sind in Ordnung», brachte er nun heraus. Er gab mir das Dokument wieder, es war ganz feucht dort, wo er es mit seinen schweißnassen Fingern angefasst hatte. Ob er erkannt hatte, dass es falsch war? Und dass Mama eigentlich bei Többens hätte sein müssen? Falls ja, hatte er uns absichtlich verschont und war sicherlich erleichtert, einen guten Grund zu haben, nicht noch mehr Menschen in den Hof treiben zu müssen. Das wäre ein Hauch von Menschlichkeit gewesen.
    Die Polizisten eilten aus der Wohnung. Wir blieben zurück.
    Von unten hörten wir die Befehle der Polizisten. Das Weinen der Kinder. Der Frauen. Von gestandenen Männern. Niemand von uns wagte es, zu einem Fenster zu gehen und in den Hof zu blicken.
    Mama hockte sich auf ihre Matratze und starrte ihre halb gepackte Tasche an. Hannah kauerte sich auf dem Boden zusammen und knabberte sich die anderen Finger blutig. Und ich strich mit meiner Hand über den Tisch, strich und strich, ohne dass mich das auch nur ein kleines bisschen beruhigen konnte.

19
    Vielleicht eine Stunde später – es hätte aber auch fünf Minuten oder anderthalb Jahre später sein können, denn ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren –, öffnete ich die Tür und betrat jene Zimmer, in die die Leute aus Kraków nie mehr zurückkehren würden. All die Jahre, in denen wir unsere Wohnung mit der Großfamilie geteilt hatten, hatte ich mir die Fremden weggewünscht. Jetzt waren sie fort. Und es war schrecklich.
    Es sah in den Zimmern aus wie nach einem Wirbelsturm. Die meisten Möbel waren umgekippt, Kleidungsstücke lagen verstreut herum, sogar Gebetsbücher. Dass die tiefgläubigen Männer sie mal vor lauter Panik liegen lassen könnten, hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten.
    Da ich wie eine Schlafwandlerin durch die Räume ging,

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