284 - Augen der Ewigkeit
niedergebrannt und ist weitergezogen. An wem bitte wollten Sie Ihre Behandlung testen? Da draußen sind keine Versuchskaninchen mehr. Also, raus mit der Sprache: Was für eine Methode ist das?«
»Es ist uns gelungen, den Gencode der Zapfenzellen umzuprogrammieren, sodass sich die abgestorbenen Zapfen mit den noch funktionstüchtigen vernetzen.«
»Und? Funktioniert das?«
Cormand zögerte einen Augenblick. »Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir Ihnen auf diese Weise endlich helfen können.«
Milans Blick ruckte zu Dr. Diana Hoyt. »Warum erzählen Sie mir dann etwas von mindestens einem Jahr?« Er rieb sich über die Augen. »Ich werde mich der Behandlung unterziehen. Und zwar so schnell wie möglich. Wäre morgen in Ordnung, Xavier?«
Wieder dieses Zögern. »Nein, es bedarf noch einiger Vorbereitungen. Aber in… in einer Woche sollten wir so weit sein.«
Dr. Hoyt zog hörbar die Luft ein, doch Milan kümmerte sich nicht darum. »Also, in einer Woche dann«, hatte er gesagt. »Und nicht einen Tag später.«
Er hatte seinen Willen durchgesetzt. Die Ärzte hatten die Operation durchgeführt. Das war inzwischen vierzehn Tage her. Mit anderen Worten: Heute nahmen sie die Binde ab!
»Wie geht es dir?«
Die keifende Stimme schreckte ihn auf. Sophie, die hysterische alte Gans. Was hatte ihn damals nur dazu bewogen, sie zu heiraten?
»Ein bisschen Kopfschmerzen.« Er versuchte sich seine Abneigung nicht anmerken zu lassen. Nicht heute, an diesem großen Tag. »Und dieses komische Gefühl, das sich wie ein Jucken hinter den Augen anfühlt.«
»Nachwirkungen der Behandlung«, ließ sich Dr. Cormand vernehmen. »Ich würde Ihnen gerne sagen, dass die ganz normal sind. Da wir diese Therapie aber zum ersten Mal angewandt haben, wissen wir es natürlich nicht.« Er stieß ein unsicher klingendes Lachen aus. »Sind Sie bereit für den großen Augen-Blick?« Das letzte Wort betonte er mit der angemessenen Doppeldeutigkeit.
»Faseln Sie nicht, sondern nehmen mir endlich diese verdammte Binde ab.«
»Wie Sie wünschen.«
Er fühlte, wie Cormand Lage um Lage löste. Wurde es nicht mit jeder Stoffbahn etwas heller? Oder bildete er sich das nur ein?
Dann war es endlich so weit. Der Arzt entfernte auch noch die Mullstückchen auf den Augen.
Die Erinnerung an all die Probanden schoss Roger Milan ins Gedächtnis. An das Entsetzen auf ihren Gesichtern, an die schmerzerfüllten Schreie. Er verdrängte sie mit aller Macht. Und hob die Lider.
Das Stechen hinter den Schläfen schwoll für Sekunden zu einer sinnesraubenden Qual an, doch nach wenigen Momenten klang es schon wieder ab. Zurück blieb ein stetes dumpfes Hämmern.
Vor sich sah er die gesammelte Ärzteriege. Und in ihrer Mitte Sophie, seine Frau. Jetzt, wo er sie erblickte, wusste er wieder, warum er sie geehelicht hatte. Sie mochte eine Zicke sein, aber sie sah umwerfend gut aus; immer noch.
Er lag im Bett ihres gemeinsamen Schlafzimmers. Sein Blick huschte durch den Raum. Ohne dass er es verhindern konnte, entrang sich seiner Kehle ein euphorisches Lachen. Die Strichführung des Gemäldes an der Wand gegenüber, den schmalen Riss im Buchrücken der Liebesschmonzette auf Sophies Nachtkästchen, den Essensrest an einer Gabelzinke auf dem Tisch am Fußende des Bettes - das alles vermochte er mit einer nie gekannten Schärfe zu erkennen.
»Es ist gelungen!« So lange hatte er auf diesen Moment gewartet und nun brachte er doch nur ein Flüstern zustande.
Mit einem Mal sah er noch mehr. Frederic Wallot, den kleinen Forscher mit dem Wuschelkopf, und Sam van der Vlis umgab ein bläulich schimmerndes Flirren. Erleichterung! Die beiden hatten nicht an den Erfolg der Behandlung geglaubt. Milan konnte sich nicht erklären, woher er das wusste. Er sah es einfach.
Und dort! Rote Schlieren überzogen Diana Hoyt und Dr. Jacques Rainard. In der Schrittgegend leuchteten sie besonders intensiv. War denn das zu fassen? Dieses ungleiche Pärchen hatte noch vor kurzem Sex miteinander gehabt!
Das war aber noch nicht alles: Dr. Hoyt war schwanger! Milan konnte nicht in sie hineinsehen, aber er erkannte die Farben an ihrem Bauch.
Sophie umgab ein silbriger, strahlender Glanz, der bis in die letzten Ecken des Raumes waberte und seine Nebelfinger ausstreckte. Nach all den anderen, nach ihm, nach seinem Kopf. Sie schlangen sich darum und drückten zu.
Eine Explosion schoss ihm durch den Schädel. Milliarden von Farben schwemmten ins Schlafzimmer. Er sah Dr. Cormands Mundgeruch nach
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