285 - Am Nabel der Welt
Zeit«, sagte Matt. Er spürte, dass Victoria ihre Schlaflosigkeit ganz gewiss nicht zur Sprache brachte, nur um sich wichtig zu machen. »Das beschäftigt dein Unterbewusstsein. Wir haben Tabletten an Bord. Ich kann dir -«
»Ich nehme längst welche. Aber sie helfen nicht.«
»Du nimmst längst welche? Woher hast du sie?«, fragte Matt verblüfft.
»Xij gab sie mir. Sie kennt sich damit aus und warnte mich, nicht zu viele auf einmal zu nehmen. Sie selbst habe es einmal getan - und sei daran gestorben.« Die ehemalige Queen lachte kurz. »Das mag ich an ihr - sie hat einen bizarren Humor.«
Matthew Drax war sich dagegen gar nicht so sicher, dass das blasse Mädchen mit dem meist verstrubbelten Haar und den mandelförmigen Augen tatsächlich nur einen Scherz gemacht hatte. Es passte zu ihrer Bemerkung über den Tod vorhin.
Bedenklicher aber war, dass Xij offenbar nach Gutdünken gefährliche Medikamente verteilte. Es ist wohl an der Zeit, sich das kleine Fräulein mal ernsthaft zur Brust zu nehmen. Wer zusammen reiste, musste sich bedingungslos auf jeden Einzelnen der Gruppe verlassen können.
Matt begleitete Victoria zurück zum Amphibienpanzer, hielt aber Aruula, die direkt hinter der Lady einsteigen wollte, noch zurück. »Warte bitte…«
»Was ist?«
Er wartete, bis Victoria in der Schleuse verschwunden war. Dann sagte er leise: »Auch wenn du Xij nicht belauschen willst - wir müssen endlich wissen, was mit ihr los ist. Vielleicht kannst du in einem Gespräch von Frau zu Frau mehr herausfinden.«
»Ich glaube, dich mag sie lieber als mich«, konterte Aruula. »Außerdem verstehe ich vieles von dem nicht, was sie erzählt - aus der Zeit vor Kristofluu. Rede du doch mal mit ihr.«
»Okay, wenn du meinst… aber nicht mehr heute. Im Gegensatz zu Lady Victoria fallen mir die Augen auch ohne Pillen zu.«
»Schade.« Aruulas Augen funkelten. »Wir haben in letzter Zeit kaum noch Gelegenheit, uns auszutoben. Im Panzer ohnehin nicht - und draußen ist es zu kalt. Oder was meinst du - sollen wir uns morgen, wenn wir das Meer erreichen, für ein halbes Stündchen zu zweit in die Dünen zurückziehen?«
Sie hatte zweifellos recht - innerhalb von PROTO gab es keine ausreichende Privatsphäre. Nicht, um das auszuleben, was ihnen beiden gerade vorschwebte.
Er nickte verschworen. »Einverstanden. - Oder sollten wir Xij bitten, mitzu-« Er brach lachend ab, als Aruula ihn knuffte.
»Untersteh dich, Mann aus der Vergangenheit! Wenn hier jemand Xij vernascht, dann bin ich das!«
Für Sekunden war Matts Miene ein Ausbund an Einfalt - bis er feststellte, dass sie ihm nur Paroli gegeben hatte. Im gleichen Moment begriff er, dass Aruula sehr wohl Xijs Blicke bemerkt und gedeutet hatte. Aber da war sie schon kichernd im Inneren des Panzers verschwunden…
***
In dieser Nacht schlief nicht nur Lady Victoria schlecht, trotz Tabletten. Auch Xij Hamlet wälzte sich in quälenden Träumen. Ihre Visionen machten ihr zu schaffen - und das Zusammentreffen mit den Pueraquila. Matt und die anderen waren von deren Angriff geschockt gewesen, ihr eigener Schrecken aber ging viel tiefer. Doch das konnte nur verstehen, wer - wie sie - dabei gewesen war, als diese Abscheulichkeiten mit den Kindgesichtern erschaffen worden waren.
Xij stöhnte im Halbschlaf. Ihre linke Hand hielt den Beutel umklammert, in dem die Trophäe steckte, die sie unbemerkt mitgenommen hatte: den abgetrennten Kopf des Pueraquila.
Im Traum fühlte er sich… lebendig an. Und sein Flüstern erfüllte Xijs Verstand.
Über Stunden kämpfte sie schlafend und träumend gegen die Stimmen an. Als es endlich draußen dämmerte, glaubte Xij zu wissen, was zu tun war.
***
»Sie ist weg!«
»Hm? Was ist los? Wer ist weg?«
»Xij!«
»Xij?« Aruula richtete sich auf ihrer Matratze auf.
»Ihre Schlafkoje ist verlassen, das Bettzeug völlig zerwühlt«, erklärte Matt, »aber sie ist nicht mehr im Panzer.«
Gähnend schwang Aruula ihre Füße über den Rand ihrer Koje und stand auf. Auf der anderen Seite des Raumes lagen die beiden Hochbetten von Lady Victoria und Xij. Die Ex-Queen schlief unten, Xij oben.
Victoria saß gegen die Außenwand gelehnt mit angezogenen Knien da. »Vielleicht macht sie draußen Jogging«, merkte sie an.
»Jogging?«, echote Aruula.
»Einen Dauerlauf«, erklärte Matt kurz angebunden.
»Ist doch möglich.« Aruula zuckte mit den Schultern. »Wo liegt das Problem? Sie ist schon groß und kann auf sich selbst aufpassen.«
Matt war und
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