285 - Am Nabel der Welt
blieb verärgert - und besorgt. Verdrossen wandte er sich dem hinteren Schleusenbereich zu. »Ich geh jetzt raus und sehe nach. Wenn jemand…« Er verstummte, weil sich die Außenluke öffnete, noch bevor er selbst den Mechanismus auslösen konnte.
Xij kam über die Rampe nach oben. Überrascht sagte sie: »Oh, ihr seid schon wach? Hoffentlich habt ihr euch -«
»- keine Sorgen gemacht?«, unterbrach Matt sie ungnädig. »Doch, das haben wir. Wo warst du?«
»Ich musste was erledigen. Privat. Es tut mir leid.« Sie tänzelte betont fröhlich in den Gemeinschaftsraum. »Nun brauche ich aber dringend einen frischen Kaffee. Ist ziemlich frisch da draußen. Ich glaube, es wird heute noch schneien.« Sie schob sich an Matt vorbei, der das Schott, das sie offen gelassen hatte, schloss und verriegelte.
»Bleib stehen!«
Xij blieb stehen.
»Und jetzt raus mit der Sprache: Wo warst du? «
Es überraschte ihn, dass sie klein beigab und den Kopf senkte. »Na ja… ihr hattet recht. Ich wusste es eigentlich schon, als ich es tat - aber in dem Moment war es einfach stärker.«
» Was hast du getan? Wovon redest du?«, fragte Matt, der ihr nachging und bei ihr stehen blieb.
»Ihr wisst schon: Das Vieh. Der Pueraquila. Es war nicht richtig, seinen Kopf mitzunehmen.«
»Du hast…« Matt fehlten die Worte.
»Na ja, ich wollte mir unbedingt eine Trophäe sichern. Aber jetzt hab ich eingesehen, dass es falsch war. Außerdem begann er zu stinken.«
»Eine späte Einsicht«, sagte Aruula, aber es klang nicht mehr vorwurfsvoll.
»Eben«, sagte Xij. »Besser spät als nie, oder?«
»Und was genau hast du draußen gemacht?«, fragte Matt.
Xij zögerte kurz, dann sagte sie: »Ich hab ihn vergraben. Beerdigt , wenn ihr so wollt.« Sie druckste herum. »Ich… ich wollte ihn eigentlich bei der nächsten Gelegenheit präparieren. Aber heute Nacht hab ich von ihm geträumt. Er… lebte plötzlich wieder, schnitt Grimassen und verfluchte mich mit einer Stimme, die keinen Atem braucht.« Sie schauderte.
»Wow«, sagte Aruula. »Tolle Geschichte.«
»Fand ich nicht - aber egal. Wahrscheinlich hätte mich das Ding jetzt jede Nacht heimgesucht. Deshalb hab ich es feierlich bestattet. Das müsste doch genügen, oder?«
Xij wirkte ehrlich erleichtert - verrückter ging es kaum. Matt war froh, als das Gespräch in andere Bahnen gelenkt wurde. Sie frühstückten noch gemeinsam, dann klemmte er sich hinter das Steuer des Radpanzers.
Bei leichtem Schneeregen fuhren sie weiter Richtung Nordosten und gelangten am späten Vormittag endlich ans Meer. Anhand der Karten bestimmte Matt, dass es sich um die Lübecker Bucht handeln musste. Von hier aus würde er nun endgültig auf Ostkurs gehen.
Noch war das Ziel nicht genau definiert. Die Sichtungen des abstürzenden Raumschiffs wiesen nach Osten, ja. Aber es wurde höchste Zeit, detailliertere Angaben zu erhalten. Matt Drax hatte diesbezüglich keine Sorge: Je näher das Schiff der Erde gekommen war, desto genauer würden die Beobachtungen der hiesigen Bevölkerung sein.
Nur noch ein paar vereinzelte Flocken fielen vom Himmel, die Wolkendecke riss auf. Und dann sahen sie es vor sich: ein kleines Dorf, vielmehr nur eine Ansammlung weniger Hütten, die sich um einen halb verfallenen Leuchtturm kauerten.
Kurzentschlossen nahm Matt Kurs auf die Behausungen. Mit etwas Glück gab es hier einen Leuchtturmwärter - und mit ganz viel Glück kannte er sich in Sachen Navigation und Kursbestimmung aus.
***
Es gab keinen Leuchtturmwärter.
Nur seine klapprige alte Frau.
Der Wärter selbst war schon vor mehr als zwanzig Jahren verstorben, war friedlich hoch oben neben seinem Feuer eingeschlafen und nie wieder aufgewacht.
Während der Rest der Gruppe unten im Dorf beim Panzer wartete und dort die neugierigen Einwohner befragte, stieg Matt Drax allein die Anhöhe empor. Er fand die Greisin auf einer Steinmauer neben dem verfallenen Turm, wie sie einen kompliziert wirkenden Messing-Sextanten in der Hand hielt und sich auch nicht von dem ungewohnten Anblick eines Panzers davon abbringen ließ, Messungen und Berechnungen der umliegenden Landschaft durchzuführen. Ihr Gesicht sah selbst wie eine Landschaft aus; eine mit unzähligen Haupt- und Nebenflüssen. Die Augen waren erstaunlich klare Seen und die scharf geschnittene Hakennase ein Gebirgszug, der dem Ganzen Struktur verlieh.
Neben der Frau lagen eine Schiefertafel und ein Stück spitze Kreide. Zahlen und Buchstaben standen auf die Tafel
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