288 - Labyrinth der Guule
künftig daran zu halten.
Was sie natürlich nicht tun würde. Niemand konnte ihr verbieten, mit einem Freund zu reden! Selbst wenn er ein Mensch von der Oberfläche war und auf dem Grund eines Erdlochs auf sein Schicksal wartete.
So sehr Goran sie in den letzten Tagen und Wochen auch vernachlässigt hatte, umso mehr freute sie sich jetzt, ihn zu sehen. Sie machte sich aus Belals Griff los und rannte zu dem Jungen hinüber, der mit den anderen Kindern auf dem Ruhefeld saß. Die Erwachsenen standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Natürlich gab es nur ein Thema: die Eindringlinge von der Oberfläche.
Belal entdeckte ihren Mann Kovan, der bei ein paar anderen Yarbay an einem der Zugänge stand. Sie zischte kurz, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als Kovan zu ihr sah, deutete sie auf Berfin, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie sie gefunden hatte. Kovan nickte verstehend, sprach noch ein paar Worte zu den anderen und ging dann zu seiner Frau herüber.
Berfin tippte unterdessen Goran an die Schulter. »Komm, wir schleichen uns unauffällig an meine Eltern heran! Ich will wissen, was vor sich geht und wer die Besucher von außerhalb sind.«
Das ließ sich Goran nicht zweimal sagen. Er mochte vielleicht ein wenig einfältig sein, aber auf seine Neugier konnte sich Berfin immer verlassen. Gemeinsam krochen sie zu Belal und Kovan hinüber. Dabei taten sie so, als würden sie Fangen spielen - allerdings auf allen vieren.
Der Yarbay nahm seine Frau in den Arm und drückte sie an sich. »Ich bin erleichtert, dass du Berfin gefunden hast. Kriw hat befohlen, dass ich mich mit den anderen auf den Weg zur vierten Ebene machen soll.«
»Wie viele sind es?«, wollte Belal wissen.
Kovan zuckte mit den Schultern. »Angeblich nur fünf Eindringlinge. Sie sind im Moment auf Ebene zwei, das haben die Spähtrupps gerade gemeldet. Aber sie haben ungewöhnliche Waffen und sind schlau. Sie haben Markierungen angebracht und überall die Fackeln entzündet. Kriw hat angewiesen, die Zeichen zu entfernen und die Lichter wieder zu löschen. Er hofft, sie so verwirren zu können.«
Belal lächelte. »Das alte Spiel mit der Angst. Es klappt doch immer wieder.«
Berfin und Goran hielten in ihrer gespielten Kabbelei inne und schauten sich fragend an. Sie wussten, die Eindringlinge mussten gefangen werden, aber wie ihre Sippe dabei vorging, das hatten sie bisher nicht gewusst. Neugierig krabbelten sie noch ein Stück näher an die beiden Erwachsenen heran.
Auch Kovan grinste. Seine trüben Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen und die schwarzen Zahnstummel des Oberkiefers schoben sich aus den dünnen, gespannten Lippen. »Was würden wir nur ohne Mahmad Xeter tun? Wenn er nicht wäre, gäbe es unsere Kolonie wohl schon lange nicht mehr.«
»Ja«, stimmte Berfins Mutter zu. »Aber vergiss Yarbay Ako nicht, der dafür sorgt, dass Xeter bei jeder sich bietenden Gelegenheit ahnungslose Reisende hierher schickt.«
»Es ist schließlich Teil der Abmachung«, ergänzte Kovan. »Ohne unsere Guul-Soldaten könnte sich Xeter kaum die Feinde vom Hals halten. Ein geringer Preis dafür, sich gegen alle anderen in Tuurk behaupten zu können. Also verdanken wir unser Überleben im Grunde nicht ihm, sondern dem Kaaraa Kuuwetleri(Gemeint ist »Türk Kara Kuwetleri«, die türkischen Landstreitkräfte).«
»Dem was…?«, flüsterte Berfin.
Goran zog die schon dünnen Augenbrauen hoch und zog das Mädchen ein Stück mit sich fort. »Du weißt nicht, was der Kaaraa Kuuwetleri ist?«, fragte er.
Berfin schüttelte den Kopf. Auch ihre langen schwarzen Haare wurden langsam schütter.
»Du kennst doch die Geschichte von der Großen Kälte?«, fragte Goran und Berfin nickte. Ja, sie wusste, dass es einst eine Zeit gegeben hatte, als die Oberfläche von Schnee und Eis bedeckt gewesen war. Als die Große Kälte , wie sie die Guule nannten, vorüber war, waren sie aus dem Osten hierher gekommen und hatten in den unterirdischen Höhlen ihr Zuhause gefunden. Zuvor war ihr Volk - zumindest in diesem Teil der Welt - nicht sesshaft gewesen und unterschied sich darin nicht von den anderen Bewohnern Tuurks.
»Die Guule waren schon immer Krieger«, fuhr Goran stolz fort. »Früher, als sie noch einfache Menschen waren, verteidigten sie Tuurk an der östlichen Grenze gegen die Feinde des Landes. Diese Truppe nannte sich Tuurk Kaaraa Kuuwetleri. Doch als die Dunkelheit und die Kälte kamen, interessierten sich die Feinde
Weitere Kostenlose Bücher