2888 - New York gegen uns
Beifahrertür so hastig zu, dass er sich um ein Haar den Fuß eingeklemmt hätte. Er war sichtlich froh, hinter die dunkel getönten Scheiben abtauchen zu können. Das edle Fahrzeug gehörte Rechtsanwalt Conrad B. Nichols.
Wir blickten dem davonrauschenden Wagen aus dem Torbogen des Bentley Yacht Club heraus nach. Robert J. Enright, der hinter uns stand, räusperte sich.
»Dann werde ich hier wohl auch nicht mehr gebraucht«, sagte er merklich zahm und ergänzte pikiert: »Das Clubgelände haben Sie ja sowieso mit Beschlag belegt.«
Ich drehte mich nur halb zu ihm um und nickte. »In Ordnung, Mister Enright. Bitte seien Sie telefonisch erreichbar.«
Er knirschte ein »Selbstverständlich« und eilte nach rechts am Rand der Surf Avenue davon. Unterdessen war Irving Kelleher, Phil und mir klar, dass wir vorerst nichts weiter tun konnten, als der Spurensicherung das Feld zu überlassen und darauf zu hoffen, dass wir schlüssige DNA-Gutachten erhalten würden, um Chevalier endgültig das Handwerk legen zu können. Wir konnten nicht ahnen, dass schon die nächsten Minuten alles ändern sollten.
Mein Handy klingelte.
Mr High war dran. Ich schaltete den Mithörlautsprecher ein, und der Assistant Director kam sofort zur Sache.
»Kidnapping«, sagte er knapp. »In Tottenville, und das ist beileibe kein Zufall. Das Entführungsopfer heißt Annalee Payne. Ihr Ehemann, Jackson Payne, hat angerufen und den sofortigen Einsatz des FBI verlangt.«
Das war sein gutes Recht. Das FBI war für Kidnapping zuständig. Eingreifen mussten wir normalerweise vierundzwanzig Stunden nach dem Bekanntwerden des jeweiligen Falles. Angehörige eines Entführungsopfers konnten jedoch verlangen, dass das FBI sofort die Ermittlungen aufnahm.
»Jackson Payne?«, sagte ich gedehnt. »Ist das der ehemalige Elite-Cop, der vor ein paar Jahren in einen Skandal mit der IAD verwickelt war?«
»Genau der«, antwortete John D. High. »Payne ist heute Lieutenant beim Fire Department, stellvertretender Leiter der Engine Company 164 in Huguenot. Er wohnt allerdings im Nachbarviertel Tottenville.«
Ich erinnerte mich. Nach vierzehn Jahren Dienstzeit in einer Emergency Service Unit des NYPD hatte Payne einen Verdächtigen bei der Festnahme erschossen, weil er glaubte, dass dieser eine Waffe zog. In Wirklichkeit hatte der Verdächtige nur die leeren Hände hochgenommen.
Gegen Payne war ermittelt worden, und im Verlauf dieser Ermittlungen hatte er einen Detective Lieutenant der Internal Affairs Division IAD bedroht. Um den Skandal zum Abschluss zu bringen, hatte Payne damals freiwillig seinen Abschied genommen. Dank guter Beziehungen war es ihm gelungen, beim FDNY unterzukommen, der New Yorker Feuerwehr.
»Kein Zufall, Sir?«, erinnerte ich mich an die einleitenden Worte des Chefs.
»So ist es«, antwortete er. »Jackson Payne beschuldigt niemand anderen als Aristide Chevalier, seine Frau verschleppt zu haben.«
Phil und Irving starrten mich an. Keiner von beiden brachte ein Wort hervor. Auch ich mochte nicht aussprechen, was wir sicherlich alle dachten – dass Chevalier nach Yanela Valdés innerhalb weniger Tage ein zweites Gewaltverbrechen begangen hatte. Wir mussten damit rechnen, dass Annalee Payne nicht mehr lebte. Denn aus finanziellen Gründen hatte er sie bestimmt nicht entführt.
»Gibt es eine Lösegeldforderung, Sir?«, fragte ich dennoch.
»Nein«, antwortete der Chef. »Lieutenant Payne sagt, er habe die Entführung mit eigenen Augen beobachtet. Beteiligt seien außerdem Chevaliers Leibwächter Geraldo Santos und Bryn Williams gewesen. Das war letzte Nacht auf dem Parkplatz des Tanzlokals Shady Lane an der Amboy Road in Tottenville. Chevalier soll Mrs Payne zuvor auf der Tanzfläche des Lokals belästigt und tätlich angegriffen haben. Sie hat sich zur Wehr gesetzt und ihn wohl schwer gedemütigt.«
»Das könnte einen Sinn ergeben«, sagte ich, nachdem ich die Worte des Chefs halbwegs verdaut hatte.
»Wie bitte?«, entgegnete der Assistant Director.
Ich schilderte ihm unsere Begegnung mit Chevalier und meinen Eindruck, dass der Mann auf mich ziemlich unausgeschlafen gewirkt hatte. Ich fügte hinzu: »Selbstüberschätzung, Arroganz und Jähzorn – Chevaliers bekannte schlechte Eigenschaften. Jetzt sieht es so aus, als ob er sich überhaupt nicht mehr beherrschen kann.«
»Leider scheint es so zu sein«, sagte Mr High. »Kümmern Sie und Phil sich erst einmal ausschließlich um Jackson Payne. Ich spreche mit Joe Brandenburg; er und
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