2889 - Schüsse aus dem Nichts
gerichtsmedizinischen Institut. Es stellte sich heraus, dass Doc MacMillan die sterblichen Überreste von Kea Swanson schon untersucht hatte. Der erfahrene weißbärtige Pathologe begrüßte uns mit einem freundlichen Kopfnicken.
»Hallo, Jerry und Phil. Ich nehme an, ihr seid wegen dieser bedauernswerten Toten hier?«
Mit diesen Worten deutete er auf den leblosen nackten Körper, der auf einem Stahltisch vor ihm lag. Ich machte eine zustimmende Bewegung.
»Genau, Doc. Da wir den Fall vom NYPD übernommen haben und gar nicht am Tatort waren, haben wir die Leiche bisher nicht sehen können.«
Der Gerichtsmediziner deutete auf die drei Einschusslöcher im Oberkörper.
»Über die Todesursache dürfte es keine Unklarheiten geben. Ein Projektil schlug nur einen Inch vom Herzen entfernt in den Thorax ein, die beiden anderen Patronen zerfetzten den rechten Lungenflügel. Das Opfer hatte keine Chance. Aber ich nehme an, ihr seid nicht nur wegen dieser offensichtlichen Fakten des Tathergangs hier.«
»Das stimmt. Wir hatten gehofft, dass Sie uns mehr über die Lebensumstände der Ermordeten sagen könnten.«
»Bei der Blutuntersuchung hat sich gezeigt, dass Kea Swanson öfter Designer-Drogen konsumierte«, erklärte der Mediziner. »PCB, Crack, Crystal Speed, das ganze Programm. Sie war noch nicht stark abhängig, aber auf dem sicheren Weg dorthin. Meiner Einschätzung nach hat sie nicht täglich Drogen genommen, aber garantiert immer an den Wochenenden.«
Ich nickte und warf einen Blick auf das wächsern-bleiche Antlitz der Toten. Noch waren ihre erstarrten Gesichtszüge schön. Insbesondere die Teufelsdroge Crystal ruiniert das Aussehen eines Menschen innerhalb kürzester Zeit. Jedenfalls konnte man der Toten ihren Drogenkonsum nicht ansehen.
Die Stimme des Pathologen riss mich aus meinen Überlegungen.
»Außerdem hat die Frau mindestens eine Abtreibung hinter sich. Das habe ich bei der Untersuchung ihrer Gebärmutter festgestellt.«
»Wenn der Eingriff in New York City vorgenommen wurde, muss es eine Klinikakte über Kea Swanson geben«, meinte Phil. Das war ein guter Hinweis, der uns weiterbringen konnte. Aber ich hatte an der Leiche noch ein anderes Detail entdeckt, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ich deutete auf das linke Handgelenk der Toten. Dort war eine Tätowierung zu erkennen, die ungefähr so lang wie ein Männerzeigefinger war. Die Darstellung bestand aus einem Dolch und einer Rose.
»Können Sie uns etwas zu dem Tattoo sagen, Doc?«
»Nein, Jerry – außer dass die Tätowierung ziemlich schlampig ausgeführt wurde. So etwas sieht man heutzutage kaum noch. Selbst die Knasttätowierer schaffen inzwischen eine bessere Qualität.«
»Kea Swanson hat vielleicht zu einer Gang gehört«, meinte Phil. »Dazu würde auch passen, dass sie mit einem ehemaligen Kriminellen wie MC Dooley ausgegangen ist.«
»Wenn sie in einer Gang war, werden wir es erfahren«, sagte ich und fotografierte die Tätowierung mit meiner Handykamera. Das FBI verfügt über ein Archiv mit Erkennungszeichen und Symbolen aller Jugendgangs und Gruppierungen. Wir mussten das Bildmotiv von Kea Swansons Handgelenk nur mit den vorhandenen Vorlagen vergleichen.
Der Pathologe teilte uns noch mit, dass das Mordopfer in ihrer Todesnacht nicht unter Drogeneinfluss gestanden hatte. Es war zu dem Zeitpunkt 48 Stunden her, dass sie etwas konsumiert hatte. Ob Kea Swanson zusammen mit MC Dooley auf dem Weg zu einem Dealer gewesen war? Das würde uns der Rap-Star gewiss nicht auf die Nase binden. Er hatte ja bisher überhaupt nichts getan, um bei der Aufklärung des Verbrechens mitzuhelfen.
Einstweilen verabschiedeten wir uns von Doc MacMillan und kehrten an die Federal Plaza zurück. Der Datenabgleich mit dem FBI-Tattoo-Archiv nahm nur wenige Minuten in Anspruch. Offenbar gab es keine bekannte Gang, die einen Dolch und eine Rose als Symbol benutzte.
Doch dafür wurden wir bei den Krankenhäusern fündig, die wir systematisch abtelefonierten. Phil konnte nach einer halben Stunde eine Klinik ausfindig machen, in der Kea Swanson behandelt worden war. Das Krankenhaus hieß Brooklyn Medical Center. Mein Freund hatte seinen Telefonlautsprecher eingeschaltet. Daher konnte ich seinen Wortwechsel mit der Verwaltungsangestellten mithören.
»Normalerweise dürfen wir keine Patientenakten herausgeben, Agent Decker. Es gibt ja eine ärztliche Schweigepflicht.«
»Das ist mir bekannt. Ich kann auch einen Gerichtsbeschluss erwirken, aber das kostet
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