2894 - Niemand stribt für sich allein
mit dem übel gelaunten Rechtsmediziner. Stattdessen sahen wir uns die Tote und den Fundort an. Gillian O’Farrells Schuhe lagen ein Stück von ihren Füßen entfernt. Es waren braun-beige Sneakers in einer Leder-Gewebe-Kombination. Der linke Schuh lag mit der Sohle nach oben. Eine dicke grau-schwarze Erdschicht klebte daran. Ich fragte einen der Spurensicherer danach.
»Da oben ist eine Rooftop-Farm«, erklärte er. »Professioneller Gemüse-Anbau, über dem sechsten Stockwerk.«
»Auf dem Dach des Lagerhauses?«, vergewisserte ich mich und zeigte auf zwei Folienfenster des Zelts, durch die die Außenwand des Gebäudes unmittelbar daneben zu sehen war.
»So ist es, Sir«, bestätigte der Erkennungsdienstler. »Sie wissen wahrscheinlich schon, dass von der Dachfarm eine Brücke zu dem Loft hinüberführt.«
Ich nickte und folgerte: »Gillian O’Farrell hat sich also auf dem Gemüseacker aufgehalten – noch vor der Party.«
»Da oben sind mehrere unterschiedliche Fußspuren gesichert worden«, bestätigte mein Gegenüber. »Außerdem haben wir auf dem Dach Bodenproben genommen und lassen sie im Labor mit den Anhaftungen an den Schuhen des Opfers vergleichen. Das haben wir gerade noch geschafft, bevor der Wolkenbruch den Acker zur Schlammwüste gemacht hat.«
»Gute Arbeit«, lobte ich ihn. »Ich bin sicher, das bringt uns einen Schritt voran.«
Der Erkennungsdienstler lächelte erfreut. »Ich gebe das an die Kollegen weiter, Agent.«
Phil und Gavin knieten neben dem Oberkörper der Toten.
»Sieh dir das an, Jerry«, sagte mein Freund und zeigte auf Gillian O’Farrells Arme und Beine.
»Diese Blutergüsse auf den Oberarmen und auf den Oberschenkeln sind genau das, was Doc Barringer meinte«, ergänzte Gavin Pierce.
Ich ging neben den beiden in die Knie und sah mir die Stellen an. Selbst ich als medizinischer Laie vermochte zu erkennen, dass die Hämatome von einer buchstäblich harten Hand herrührten, einer Männerhand vermutlich. Blaue Flecke, die von einem Schlag oder einem Aufprall herrührten, sahen anders aus. Ich sah genauer hin und entdeckte eine quer verlaufende blutrote Linie auf den Oberschenkeln der Toten, wie mit einer Peitsche gezogen.
»Woraus besteht das Brückengeländer?«, fragte ich unseren Kollegen vom Police Department.
»Aus einfachem Winkeleisen«, antwortete der Lieutenant. »Diese Brücke ist sicherlich nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen. Aber darüber erfahren wir bald Näheres.«
»Dies hier …«, ich zeigte auf die blutigen Linien, »könnte von dem Geländer stammen. Sehe ich das richtig?«
»Hundertprozentig«, bestätigte Gavin Pierce.
Wir richteten uns auf. Vom Einsatzleiter des SRD-Teams erfuhren wir, dass die Tote jetzt zum Leichenschauhaus abtransportiert werden würde, nachdem der Rechtsmediziner die Untersuchung am Fundort abgeschlossen hatte. Der Regen schien nachzulassen; zumindest hörte sich das Prasseln auf den Zeltplanen weniger heftig an. Wir begaben uns nach vorn, in die Einsatzzentrale.
***
Gavin hob die Hand. Über die Köpfe der Kollegen hinweg winkte er jemandem, den er im Eingangsbereich entdeckt hatte. Wir kannten den bulligen Mann dort beim Zelteingang. Er sah seinem Vorgesetzten, dem Lieutenant, von Statur und Haarfarbe her ausgesprochen ähnlich. Nur der Schnauzbart fehlte Jasper Ingram.
Jasper war direkt aus Irland in die Vereinigten Staaten übergesiedelt. Er stammte aus Dublin und hatte als Streifenbeamter der irischen Polizei, der Garda Síochána, an einem einjährigen Austauschprogramm mit dem New York Police Department teilgenommen. Noch in New York hatte er sich um die Einwanderungspapiere und die Übernahme in den Dienst des NYPD beworben. Das war vor zehn Jahren gewesen. Inzwischen hatte Jasper die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben und war zum Detective Sergeant aufgestiegen.
Gleich nach dem Eintreffen am Tatort hatte sich Sergeant Ingram mit einer Gruppe von Detectives zum Klinkenputzen aufgemacht – in der Nachbarschaft herumfragen, noch einmal mit dem Pensionär Harold Anderson sprechen und die inzwischen festgestellten Eigentümer der am Vorabend zurückgelassenen Autos auflisten.
»Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, Jas«, sagte Gavin aufgeräumt. »Du hast etwas für uns.«
»Leider nicht alles«, antwortete der Detective Sergeant und begrüßte uns mit einem freundschaftlichen Lächeln. »Mit allen Autobesitzern konnten wir noch nicht persönlich sprechen; die meisten wohnen drüben in Manhattan,
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