2894 - Niemand stribt für sich allein
verloren.
Den Lärm hatte niemand im Haus mitbekommen. Es stand in einer ruhigen Gegend an der Beverley Road in Flatbush. Das Erdgeschoss und die vier Etagen unter dem Penthouse standen leer. Die Zahntechnikerfirma, die dort ihre Betriebsräume gehabt hatte, war erst vor kurzem in Konkurs gegangen. Die Büros und die Labors mussten noch leergeräumt werden.
Eine neue Firma als Mieter würde schnell gefunden werden, daran zweifelte Matt Shubert nicht. Cesar Levitt und seine Guns waren inzwischen so groß und mächtig geworden, dass sie genügend Unternehmen an der Hand hatten, an denen sie beteiligt waren – über Strohmänner, verstand sich.
Er packte Kaila unter den Achselhöhlen und hob sie auf. Erst jetzt stellte er fest, dass sie nur mit einem hautengen schwarzen Trikot und schwarzen Leinenschuhen bekleidet war. Unter dem Trikot trug sie offenbar nichts.
Ihr Kopf sackte nach hinten weg, als er ihre Beine unter der Tür hervorzog. Vielleicht hatte sie sich etwas gebrochen. Nicht schlecht, wenn es so war. Dann würde sie längere Zeit im Krankenhaus verbringen müssen und konnte weniger Unheil anrichten.
Er trug sie ins Wohnzimmer. Trotz ihrer Bewusstlosigkeit spürte er ihre Muskeln. Sie war durchtrainiert von den Haarspitzen bis zu den Zehen. Wahrscheinlich gab es keinen Kampfsport, den sie nicht beherrschte. Umso mehr konnte er sich etwas darauf einbilden, dass er sie besiegt hatte. Vielleicht lag es an der Wut, die er im Bauch hatte. Trotzdem machte er sich nichts vor. Bevor sie zu sich kam, musste er sie gefesselt haben, sonst würde sie sich in eine Furie verwandeln.
Er legte sie auf ein breites weißes Sofa, in dessen Blickrichtung ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand hing, als zentraler Bestandteil einer aufwendig bestückten Heimkinoanlage. Nach rechts, vom Sofa aus, eröffnete sich das Gesichtsfeld auf die Fensterfront mit einer dahinterliegenden Terrasse, einem Swimmingpool und einem Dachgarten.
Er richtete sich auf und fingerte nach den Kabelbindern in seiner Jackentasche. Kaila Knight war eine dunkelhäutige Kreolin aus New Orleans. Das kurze schwarze Haar lag wie eine Lackschicht auf ihrem runden Kopf. Mit der eigenwilligen Frisur wirkte sie wie eine Charlestontänzerin aus den Roaring Twenties.
Nicht nur ihr Körper mit den gestählten Muskeln war hart; das Gleiche galt auch für ihr Ego. Ihr Stolz und ihr Selbstbewusstsein beruhten darauf, dass sie sich für unbezwingbar hielt – gehalten hatte. Bis jetzt.
Es gibt eben immer ein erstes Mal, dachte Shubert, als er die Kabelbinder auseinanderfächerte.
Eine Explosion traf ihn mit brüllender Wucht.
Er sah die Kabelbinder in hohem Bogen wegfliegen, und einen Sekundenbruchteil lang glaubte er, seine abgetrennte Hand hinterherfliegen zu sehen. Doch der Eindruck entstand durch den Schmerz, der vom rechten Handgelenk ausging, wo ihn ihre Fußspitze getroffen hatte. Der Schmerz breitete sich wie eine tobende Flutwelle in seinem gesamten Körper aus. Er taumelte, konnte nicht mehr denken. Er begriff nur, dass sie ihn überlistet hatte. Ausgestrickst. Die Bewusstlosigkeit war nur gespielt gewesen.
Nur einen Atemzug lang war er wie gelähmt.
Die Dauer dieses Atemzugs genügte Kaila.
Wie ein Wirbelwind aus Muskeln und Knochen schnellte sie von der Couch hoch. Ihre Hiebe waren wie von Betonfäusten, verursachten noch grellere Schmerzexplosionen als ihr Fußtritt. Diesmal versank er in ein schwarzes Nichts und spürte nicht mehr, wie sie ihn hinausschleifte, an den Rand des Swimmingpools.
***
Über die Flushing Avenue erreichten wir den ehemaligen Brooklyn Navy Yard, heute ein aufstrebendes Industrie- und Gewerbegebiet. Dort, an der Clinton Avenue, befanden sich die Verwaltung und der Betriebshof der Rooftop Produce Cooperative , kurz RPC. Weil wir Rafe Gazzoli vorerst nicht auftreiben konnten, hielten wir uns an unseren ursprünglichen Zeitplan.
Für vier Uhr am Nachmittag stand Clark Hanrahan auf unserer Liste. Wir waren zehn Minuten vor der Zeit. Phil hatte sich aber telefonisch vergewissert, dass der Rooftop -Geschäftsführer zur Stelle sein würde. Er hatte seiner Sekretärin bereits angekündigt, dass er pünktlich von den Versuchsfeldern im Hudson Valley zurückkehren würde.
Auch wenn Hanrahan mit einem Gangster zu tun hatte, gehörte er sicherlich nicht automatisch selbst in diese Kategorie, sondern es ging ihm eher exakt so wie vielen anderen Geschäftsleuten in New York. Die Tatsache, dass Gazzoli im Spiel war, ließ Phil
Weitere Kostenlose Bücher