2895 - Zeugen leben nicht lange
war ähnlich gefesselt wie zuvor June. Er reagierte daher zu langsam, und damit wurde der Weg hinauf zu riskant. June packte den überraschten Blair und zerrte ihn hinter sich her.
Ihnen blieb nur noch der Weg neben eine der mehr als mannshohen Pressen, wobei ihnen das Glück hold sein musste. Es gelang ihr, den widerstrebenden Blair neben sich in den Sichtschutz der massiven Maschine zu ziehen, bevor einer der Arbeiter sie entdecken konnte. Erst als die beiden Männer mit dem offensichtlich sehr schweren Rollcontainer auftauchten, verstand Blair das Verhalten seiner Partnerin.
»Sorry«, raunte er ihr ins Ohr.
Sein Wispern wurde vom Krach der Maschinen verschluckt, aber June ahnte, was ihr Partner sagen wollte. Sie nickte knapp, ließ dabei aber die beiden Arbeiter nicht aus dem Blick. Wenn einer von ihnen sich umwandte, musste er zwangsläufig die ungebetenen Besucher entdecken.
***
Wir gaben uns keine Mühe, um unsere Identität zu verbergen. In der Bar Moskwa verkehrten diverse Angehörige der russischen Mafia, die einen Cop auf fünfhundert Yards Entfernung witterten.
»FBI. Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker. Wir wollen nur mit einem Ihrer Gäste sprechen. Mehr nicht«, sagte ich.
Der smarte Inhaber der Bar lächelte nachsichtig und schaute mich aus seinen rauchgrauen Augen an.
»Warum laden Sie die Person nicht einfach zu einem Gespräch ins Field Office ein, Agent Cotton?«, fragte er.
Ich verdeutlichte ihm nochmals, dass wir es möglichst neutral gestalten wollten. Es sollte auf keinen Fall den Anschein einer offiziellen Untersuchung erwecken.
»Welchen Gast meinen Sie eigentlich?«, fragte Antonow.
»Wir möchten gerne mit Anna Kotcharev sprechen«, antwortete ich.
Ich legte all meine Überzeugungskraft in die Worte, um den Inhaber zur Mitarbeit zu bewegen. Er sollte Kotcharev in sein Büro bringen, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Sollte Anna Kotcharev durchdrehen, was nach ihrem Profil durchaus vorstellbar wäre, dann konnten wir den Schaden im Büro von Antonow in Grenzen halten.
»Nur reden? Wenn Sie mich aufs Kreuz legen, werden Sie es bitter bereuen«, warnte mich der Inhaber.
Vermutlich resultierte seine Bereitschaft aus ganz ähnlichen Überlegungen, wie Phil und ich sie angestellt hatten. Antonow wollte eine wilde Schießerei in seiner Bar vermeiden.
»Es liegt absolut nichts gegen Anna Kotcharev vor. Wir wollen wirklich nur reden, da sie eventuell wichtige Informationen für uns hat«, bestätigte ich.
Nach einem forschenden Blick in mein Gesicht fasste Antonow seinen Entschluss. Er verließ das elegant eingerichtete Büro und machte sich auf den Weg, die Killerin zu uns zu bringen.
Anna Kotcharev war eine vielseitige Mörderin, die nicht nur mit Schusswaffen exzellent umgehen konnte. In der Vergangenheit hatte sie Wurfmesser eingesetzt, um ihre Gegner auszuschalten. Ich setzte mich in einen Klubsessel, der neben einem ovalen Glastisch stand. Dann füllte ich zwei Gläser halb mit Bourbon und nahm eines davon in die Hand. Die Killerin sollte bereits auf den ersten Blick eine entspannte Situation vorfinden.
»Das sind sie?«, fragte sie erbost.
Antonow hatte sein Versprechen gehalten und Anna Kotcharev zu uns gebracht. Die Killerin erkannte auf Anhieb, dass Phil und ich keine potenziellen Kunden waren. Ihr verärgerter Ausruf richtete sich gegen den Inhaber der Bar, der mit einer entschuldigenden Geste den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.
»Special Agent Cotton vom FBI. Das ist mein Partner, Special Agent Decker. Wir haben einige Fragen, mehr nicht!«, sagte ich.
Dabei deutete ich auf den freien Klubsessel am Tisch. Kotcharev studierte Phils Haltung, der scheinbar lässig an der Schreibtischkante lehnte. Ich hatte den Sessel für Kotcharev so postiert, dass sie ihn seitlich im Blick behalten konnte. Offenbar sagte ihr diese Konstellation so weit zu, dass sie sich in den Sessel fallen ließ. Ich hob mein Glas, um ihr zuzuprosten.
»Ich trinke nur mit Freunden, und das sind wir nicht, Agent Cotton«, stellte Anna fest.
Ich stellte mein Glas ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben.
»Wir suchen einen Freund von Ihnen, Anna. Seth Coburn«, sagte ich.
In den braunen Augen leuchtete es kurz auf. Ansonsten reagierte die Killerin nicht weiter.
»Seth hat mich entführt und leider versäumt zu erklären, warum er es getan hat. Sie werden einsehen, dass ich es unbedingt wissen möchte«, sagte ich.
Dieses Mal fiel das
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