2898 - Leichen brauchen kein Alibi
das war eine eiskalte Hinrichtung. Der Killer hat ihm die 200 Dollar nur abgenommen, um einen Raubüberfall vorzutäuschen. Außerdem kann man als Verbrecher eine größere Geldsumme immer gebrauchen.«
»Aber warum hat der Täter dem Opfer sein Handy gelassen, wenn er einen Raub vortäuschen wollte?«
»Das Handy befand sich ja nicht am Mann, sondern im Dreck«, erinnerte ich meinen Freund. »Ich stelle es mir so vor, dass Reed sein Telefon in der Hand hielt, als ihn die tödlichen Schüsse trafen. Er stürzt, das Handy entgleitet seinen Fingern und fällt auf den Boden zwischen den Abfall. Es ist dunkel in diesem Teil der Bedford Avenue. Der Täter übersieht das Handy, räumt schnell Reeds Taschen aus und verschwindet unbemerkt.«
»Okay, das ist plausibel. Ich bin gespannt, wer diese Nancy Mitchell ist.«
Inzwischen waren wir im Field Office eingetroffen und überreichten Alec Hanray das beschlagnahmte Notebook.
»Kannst du die passwortgeschützten Dateien knacken, Alec?«
»Willst du mich beleidigen, Jerry?«, fragte der junge Innendienst-Mitarbeiter scherzhaft. »Ich kann jeden Code entschlüsseln. Die Frage ist nur, wie schnell es gehen muss. Wahrscheinlich so fix wie möglich, oder?«
»Du hast es erraten.«
Der Computerspezialist wollte sich beeilen und uns sofort anrufen, wenn er ein Ergebnis vorzuweisen hatte. Nach unserer Stippvisite bei Alec Hanray gingen wir zu dem FBI-Arzt, der wegen seinem kantigen Schädel von uns auch scherzhaft Bulldog genannt wird.
»Der Verdächtige Mike Turner ist eindeutig ein Alkoholiker«, erklärte Doc Reiser. »Seine Leberwerte sind unterirdisch, außerdem sieht seine Speiseröhre schauderhaft aus. Hinzu kommt ein nervöses Zittern, das er nur schwer unterdrücken kann. Ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch, würde ich sagen.«
»Ist es möglich, dass Turner im Rausch Dinge tut, an die er sich nicht erinnern kann, Doc?«
»Das ist sogar sehr wahrscheinlich.«
Mein Verdacht hatte sich also bestätigt. Aber deshalb konnten wir noch lange nicht beweisen, dass Turner gegenüber Reed im Suff etwas über den Container aus China ausgeplaudert hatte. Ich glaubte nämlich nach wie vor, dass Reeds Geheimnisverrat das Motiv für seine Ermordung war.
Nicht umsonst werden FBI- oder Polizei-Informanten in der Unterwelt verächtlich Ratten genannt. Die Produktpiraten hatten an Reed ein Exempel statuiert. Jeder sollte sehen, was für ein Risiko ein Spitzel einging. Jetzt mussten wir diese Annahme nur noch beweisen.
***
Wir wurden schnell fündig, als wir den Namen Nancy Mitchell durch die NYSIIS-Datenbank jagten. Beim FBI war die Frau noch nicht aktenkundig, aber die Cops hatten sie bereits mehrfach wegen Verdachts auf Prostitution, Drogenhandel und Körperverletzung verhaftet. Es hatte auch eine Verurteilung gegeben, die übrigen Verfahren mussten aufgrund von Beweismangel eingestellt werden. Die Frau hatte früher in Baltimore gelebt und war dort ebenfalls angeklagt, aber nicht verurteilt worden.
»Eine clevere Kleinkriminelle, die sich nur selten erwischen lässt.«
Mit diesen Worten fasste mein Freund zusammen, was er über Nancy Mitchell dachte.
»Ja, so würde ich die halbseidene Lady auch einschätzen, Phil. Sie und Jake Reed stammen aus demselben Milieu. Lass uns mal überprüfen, ob sie wirklich so ein Ganoven-Traumpaar waren. Vielleicht hatten sie ja gar keine Affäre miteinander, sondern waren nur Partner bei ihren dunklen Geschäften.«
Ich rief Nancy Mitchells Bewährungshelfer an. Von ihm erhielt ich die Auskunft, dass die junge Frau in einem Burger-Restaurant in Queens arbeitete. Phil und ich fuhren sofort dorthin. In dem Fastfood-Tempel stärkten wir uns schnell mit Cheeseburgern. Außerdem erfuhren wir vom Manager, dass Nancy es in ihrem Job nur drei Wochen ausgehalten hatte.
»Angeblich will sie lieber Model werden«, sagte der Mann in der albernen Berufskleidung dieser Burger-Kette zu uns. »Aber wenn Sie mich fragen, dann ist die saubere Nancy eher eine Professionelle, Agents.«
Immerhin konnte er uns noch ihre letzte Adresse nennen. Nancy Mitchell wohnte angeblich an der East 150th Street in der Bronx. Falls sie von dort aus umgezogen war und sich nicht polizeilich gemeldet hatte, verstieß sie gegen ihre Bewährungsauflagen. Aber das wussten wir natürlich noch nicht.
Wir besuchten sie unangekündigt. Phil und ich wollten sie überrumpeln und ihr nicht erst die Gelegenheit geben, sich eine überzeugende Geschichte zurechtzulegen. Sie wohnte in einem
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