2898 - Leichen brauchen kein Alibi
trauernden Witwe, ehrlich gesagt. Jake Reeds Tod scheint Sie nicht gerade in tiefe Verzweiflung zu stürzen.«
»Ich bin eine Frau, die ihre Gefühle lieber verbirgt. Wollen Sie mir daraus vielleicht einen Strick drehen?«
Ich hatte nicht vor, auf diese Frage eine ernsthafte Antwort zu geben. Und Phil ging es genauso. Fest stand, dass Nancy Mitchell für die Tatzeit kein Alibi hatte. Zwar glaubte der Gerichtsmediziner, dass der Mörder in etwa genauso groß wie das Opfer und damit wesentlich größer als Nancy war. Aber diese Tatsache allein entlastete Nancy Mitchell noch nicht.
Ich kam auf einen anderen Punkt zu sprechen.
»Wenn Sie mit Jake Reed zusammen waren, dann werden Sie seine Freunde und Kumpane gekannt haben. Können Sie sich vorstellen, dass einer von diesen Typen Ihren Liebhaber auf dem Gewissen hat?«
»Ehrlich gesagt, ja. Sie werden meine Strafakte kennen und wissen, dass ich nicht in den Kreisen von Chorknaben und Pfadfindern verkehre. Mir fallen mindestens ein Dutzend Kerle ein, die zu einem Mord fähig waren. Aber ich glaube nicht, dass Jake einem von ihnen auf den Schlips getreten ist.«
»Wussten Sie eigentlich, dass Jake Reed FBI-Informant war?«, wollte Phil wissen. Nun wirkte Nancy Mitchell wirklich verblüfft. Oder war das nur Show? Ihre Antwort war jedenfalls eindeutig.
»FBI-Informant, sagen Sie? Dann machen Sie mal aus dem Dutzend Verdächtiger gleich zwei Dutzend. Ich kenne niemanden, der eine verräterische Ratte nicht hasst. Mich selbst eingeschlossen.«
Die junge Frau nahm wirklich kein Blatt vor den Mund. Immerhin nannte sie uns die Namen von ziemlich vielen Galgenvögeln, denen sie die Bluttat zutraute. Es würde ziemlich lange dauern, die Alibis all dieser Typen zu überprüfen. Aber dabei konnten uns notfalls Kollegen unterstützen.
Zum Abschied legte ich meine Visitenkarte auf Nancy Mitchells Bett.
»Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt, Miss Mitchell. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.«
»Selbstverständlich, Agent Cotton«, erwiderte die Verdächtige gallig. »Ich bin doch seit meiner Haftentlassung eine gesetzestreue Bürgerin. Oder haben Sie daran Zweifel?«
Wir verkniffen uns eine Antwort und verließen die Wohnung.
***
Phil hörte sich sehr überzeugt an, als er sich auf den Beifahrersitz des Jaguar fallen ließ und sagte: »Dieses Luder hat es soeben geschafft, sich auf Platz eins meiner Verdächtigenliste zu katapultieren, Jerry. Falls Nancy Mitchell unschuldig wirken wollte, dann ist das gründlich danebengegangen.«
»Du hältst sie für die Mörderin?«
»Du etwa nicht, Jerry? Falls sie ihren Freund nicht selbst abgeknallt hat, dann wird sie zumindest einen ihrer anderen Ganovenkumpane zu der Tat angestiftet haben.«
Eigentlich war Nancy Mitchell in meinen Augen eine ausgeschlafene Kleinkriminelle, die sich für die Tatzeit zumindest ein wasserdichtes Alibi verschafft hätte. Trotzdem hatte Phil in einer Hinsicht recht: Diese Frau war alles andere als unverdächtig. Zumindest hatte sie etwas vor uns zu verbergen. Und dafür mussten wir Beweise finden.
»Wir könnten Nancy Mitchell beschatten lassen, Phil. Denn ein Motiv hat sie uns noch nicht geliefert. Außer, dass sie keine Polizeispitzel mag. Aber diese Haltung ist ja in der Unterwelt weit verbreitet.«
An der Federal Plaza unterbreiteten wir Mr High meinen Vorschlag. Der Assistant Director war sofort einverstanden.
»Ich werde June Clark und Blair Duvall mit der Observierung dieser verdächtigen Frau beauftragen. Bitte bringen Sie Ihre Kollegen auf den neuesten Stand.«
Das taten wir sofort. Die blonde Agentin und ihr schwarzer Partner bekamen von uns ein ausgedrucktes erkennungsdienstliches Foto von Nancy Mitchell. Außerdem berichteten wir June und Blair im Telegrammstil von unserer Begegnung mit der Tatverdächtigen.
»Wir werden die Lady im Auge behalten«, versprach June. »Wenn alle Stricke reißen, können wir Nancy Mitchell immer noch wegen Prostitution festnehmen. Dann sitzt sie hinter Schloss und Riegel und wir können in Ruhe wegen der Mordgeschichte weiterermitteln.«
»Dafür müsst ihr sie aber auf frischer Tat mit einem Freier erwischen«, gab ich zu bedenken.
»Das sollte kein Problem sein. Nach eurer Schilderung ist sie ja gut im Geschäft.«
June und Blair fuhren sofort in die Bronx, um die Wohnung von Nancy Mitchell im Auge zu behalten. Ich bat Steve Dillaggio und Zeery, uns bei der Alibi-Überprüfung von Jake Reeds Kumpanen zu helfen.
»Wir müssen davon
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