2898 - Leichen brauchen kein Alibi
Pathologin fort. »Ich habe das Projektil aus dem Schädel entfernt und an die SRD geschickt. Wenn ihr die Mordwaffe habt, könnt ihr mit Hilfe der Patrone die Tat eindeutig nachweisen.«
Das wussten wir natürlich auch. Aber dafür mussten wir erst einmal den wahren Mörder und seine Pistole oder seinen Revolver finden. Ich fragte Jenny Bolder nach weiteren Einzelheiten.
»Ich vermute, dass der Täter ungefähr genauso groß ist wie das Opfer, also in etwa sechs Fuß. Das ist ein Erfahrungswert, berechnet aufgrund der Wundkanäle. Und ich gehe davon aus, dass eine Pistole oder ein Revolver benutzt wurde, kein Gewehr. Also wird die maximale Distanz zwischen Täter und Opfer acht Yards betragen haben.«
Ich nickte. »Dann können wir davon ausgehen, dass der Täter ein Mann ist?«
»Meinst du wegen der Größe, Jerry? Ja, eigentlich schon. Es gibt nicht viele Frauen, die so hochgewachsen sind. Außerdem würde ich persönlich mich als Frau nicht nachts in Flatbush herumtreiben.«
»Es sei denn, du hättest eine Bleispritze in der Tasche – so wie Reeds Mörder«, meinte Phil.
***
Momentan hatten wir sowieso keinen bestimmten Tatverdächtigen mehr, weder Frau noch Mann. Dennoch hatte die Pathologin uns weiterhelfen können. Wir bedankten uns bei Jenny Bolder und stiegen wieder in meinen roten Boliden.
»Fahren wir nach Flatbush?«
»Sicher, Phil. Doc Reisers Untersuchung kann noch dauern. Ich bin gespannt, ob die Kollegen vom NYPD uns weiterhelfen können.«
Es regnete, der Herbst hielt nun endgültig Einzug in New York City. Ich lenkte meinen Flitzer über die Brooklyn Bridge. Flatbush ist ein Stadtteil von Brooklyn, in dem es nicht nur nachts ganz schön brenzlig werden kann. Wir fuhren direkt zum 63. Precinct, der für diesen Teil von Flatbush zuständig ist.
Als wir die Polizeistation betraten, begrüßte uns der alte Desk Sergeant Philips mit einem breiten Grinsen.
»Ah, die G-men geben sich die Ehre! Was kann ich für euch tun, Kollegen?«
Ich sagte es ihm. Wir hatten Glück. Die Streifencops, die als Erste am Tatort gewesen waren, befanden sich gerade im Pausenraum. Wir gingen zu ihnen.
Officer Bruce Mercer und Officer Ellen Farrows waren junge aufgeweckte Beamte, die uns bereitwillig Auskunft gaben.
»Wir waren gerade auf einer Routine-Patrouillenfahrt an der Bedford Avenue, als wir ein Bein aus einer Seitenstraße ragen sahen«, begann Mercer mit seinem Bericht.
»In letzter Zeit hatte es einige Überfälle auf Obdachlose gegeben«, ergänzte seine Kollegin Ellen Farrows. »Wir wollten überprüfen, ob jemand Hilfe braucht. Also stiegen wir aus und schauten nach. Wir bemerkten das Blut und forderten sofort eine Ambulanz an. Aber es war schon zu spät.«
Ich nickte und machte mir eine Notiz.
»Wann habt ihr die Leiche entdeckt?«
»Kurz vor ein Uhr morgens, Agent«, entgegnete der junge Cop. »Aber da war der Mann gewiss schon eine halbe Stunde tot. Das ist meine persönliche Vermutung, ich bin noch nicht lange in meinem Beruf. Aber wir waren eine knappe Stunde zuvor schon einmal auf diesem Abschnitt der Bedford Avenue gewesen. Und ich bin mir sicher, dass der Tote zu dem Zeitpunkt noch nicht da war.«
»Gibt es Zeugen?«
Ellen Farrows lächelte, als ob sie in eine saure Zitrone gebissen hätte. Dann beantwortete sie meine Frage.
»Wir haben zumindest versucht, welche zu finden. Aber wir hatten überhaupt keinen Erfolg, Agents. Angeblich haben alle Nachbarn an ihrer Matratze gehorcht. Die müssen über einen komaähnlichen Schlaf verfügen, denn der arme Kerl wurde ja von insgesamt drei Schüssen getroffen. Außerdem wissen wir aus Erfahrung, dass auf der Bedford Avenue nachts gern Party gemacht wird. Die Leute hängen draußen herum, kiffen und trinken Bier. Wenn ein Streifenwagen auftaucht, verziehen sie sich. Doch sobald sie unsere Rücklichter sehen, geht der Tanz von vorne los.«
Ich versuchte, mir meine Ernüchterung nicht anmerken zu lassen. Wir hatten auf Zeugenaussagen gehofft – das war vielleicht wirklich blauäugig gewesen. Die Menschen in dieser Gegend wollen nicht vor Gericht erscheinen und ihre Aussage machen.
»Ihr habt gewiss getan, was ihr konntet. Mögliche Zeugen können wir also vergessen. Aber auch der Tatort lässt offenbar keine Rückschlüsse auf den Mörder zu. Wir …«
»Immerhin haben wir ein Handy gefunden«, sagte Mercer stolz. »Es lag ungefähr drei Schritte von der Leiche entfernt zwischen Müll und Unrat. Ihr wisst ja, wie verdreckt die Straßen
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