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290 - In den Gärten von Sha'mar

290 - In den Gärten von Sha'mar

Titel: 290 - In den Gärten von Sha'mar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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verändern konnte? Oder der Vertreter eines bislang unentdeckt gebliebenen Volkes, wie Matt schon so vielen auf dieser postapokalyptischen Erde begegnet war?
    »Die Rituale finden heute noch statt«, gab Rishi mit zittriger Stimme Auskunft. »Oguul bestimmt dank seiner göttlichen Vorsehung über das Leben und Sterben in den Gärten von Sha'mar. Er sagt, dass die Zeit reif ist für die… die Opferungen.«
    »Heute?«, fragte Matt alarmiert.
    »Sobald der Himmel aufklart und der Mond sichtbar wird, beginnt die Zeremonie. Sie wird um Mitternacht ihren Höhepunkt erreichen.«
    »Dann haben wir noch etwas Zeit. Ich glaube nicht, dass dieser verfluchte Nebel während der nächsten Stunden abzieht«, sagte Alastar.
    »Oguul irrt sich niemals«, behauptete Rishi mit unverrückbarer Bestimmtheit. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Schwaden verziehen. Hört ihr denn nicht die Trommeln? Sie rufen die Jünger und alle Gläubigen zum großen Versammlungsplatz. Es ist bald so weit, ist bald so weit…«
    Xij kam herbeigeeilt, still und lautlos, und hockte sich neben Matt ins feuchte Gras. »Rulfan ist informiert«, sagte sie. »Er weiß, was zu tun ist. Er wird zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.«
    »Dann wollen wir ihn nicht warten lassen«, bestimmte Matt. »Wir dringen jetzt in die Gärten vor.«
    »Jetzt?«, wunderte sich Xij. »Aber ich dachte…«
    »Wir haben keine Zeit mehr für langwierige Planungen. Wir müssen improvisieren.« Er sah die junge Frau an. »Es geht längst nicht mehr um Zaraa und Aruula allein. In den Gärten sollen heute mehr als zweihundert Frauen und Kinder zu Ehren dieses Gottes geopfert werden!«
    ***
    Zwei Jünger reichten Zaraa einen mit mystischen Zeichen besetzten Sari, dazu Gürtel, Spangen, Schmuck und Kosmetika. Sie sorgten auch dafür, dass sie mit Schwämmen, Seife und weichen Tüchern gereinigt wurde.
    Unter anderen Umständen hätte Zaraa das Gefühl der Sauberkeit genossen. Doch nicht jetzt, nicht heute. Gott Oguul - Vishnaa allein wusste, ob es sich bei der Schreckensgestalt wirklich um einen Gott handelte - würde sie bald in Besitz nehmen. Zaraa zweifelte keinen Augenblick daran, dass er ihr seinen Willen aufzwingen würde, wenn sie sich gegen seine Umarmung wehrte.
    Nainaa trat näher und drapierte den ockerfarbenen Gürtel um ihre Hüfte. Die Frau wirkte gealtert. Sie trug frische Narben im Gesicht, und sie schleppte sich mit schleifendem Schritt vorwärts. Man hatte ihr zweifelsohne Schreckliches angetan.
    »Hast du etwas von der Wilden Frau gehört?«, fragte Zaraa leise.
    Die Ältere verneinte stumm und setzte ihre Arbeit fort.
    »Sie ist meine letzte Hoffnung. Meine einzige Hoffnung.«
    Nainaa antwortete wiederum nicht. Tränen drangen aus ihren Augen, flossen die tiefen Falten hinab. Ein Kultist beobachtete sie beide argwöhnisch, und erst als sich der Mann beiseite drehte, um das Gesicht vor einer aufkommenden Windbö zu schützen, öffnete die Alte ihren Mund.
    Ein dunkel violettes, verstümmeltes Etwas kam zum Vorschein. Man hatte ihr den vordersten Teil der Zunge abgeschnitten - und all ihre Nervenbahnen durchtrennt. Nainaa würde niemals mehr wieder ein vernünftiges Wort von sich geben können.
    Zaraa unterdrückte den widersinnigen Impuls zu lachen. Wen kümmerte es, ob die Frau mit oder ohne Zunge in den Tod ging? Heute noch, in nur wenigen Stunden, würden sie allesamt in einem fürchterlichen Blutbad hingerichtet werden. Alle - außer ihr. Auf sie wartete ein schlimmeres Schicksal. Sie würde die Kinder des schrecklichen Gottes austragen und von ihnen allmählich aufgefressen werden.
    »Wir sind allesamt verloren, nicht wahr?«, fragte sie ihr Gegenüber.
    Die Ältere nickte, zuckte mit den Achseln und ging davon. Ihre Willenskraft war gebrochen. Die Jünger hatten sie unter Drogen gesetzt, hatten jegliche Energie aus ihr gesogen. Sie würde die heutige Hatz ohne Widerstand über sich ergehen lassen und schon bald den Jägern zum Opfer fallen.
    Zaraa zog den Gürtel fester. Sie dachte an Mowgra, an ihre große Liebe, und sie hoffte, dass er sie recht bald vergessen würde.
    ***
    Aruula zerbiss den Käfer und spuckte ihn beiseite, hin zum großen Haufen zerknackter Chitinschalen. Ihre Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und ihr Körper an die Regungslosigkeit, die sie erdulden musste.
    Wann hatte man sie hier eingegraben? Vor Stunden? Oder Tagen? Zeit besaß hier unten keinerlei Bedeutung. Alles, was zählte, waren die Geräusche

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