291 - Die heilige Stadt
besaß sie den Überblick, was der Kometeneinschlag angerichtet hatte.
Eine globale Katastrophe!
Das stolze Atlassa war auseinandergebrochen und komplett im Meer versunken. Hin und wieder schwamm sie durch die kläglichen Ruinen, die nun viele hundert Meter unter dem aufgewühlten Meeresspiegel lagen. Wie Leichenfinger ragten die Überreste der Säulengänge aus dem Meeresboden, noch immer gab es in tiefen Spalten vulkanische Aktivitäten. Und noch immer waren Tausende von Toten in diesen Trümmern eingeklemmt. Schwärme von Fischen taten sich pausenlos an ihnen gütlich, bis nur noch die blanken Skelette übrig waren.
Nan Matol war ebenfalls vom Angesicht der Erde getilgt, obwohl es viele tausend Wegeseinheiten von Atlassa entfernt gelegen hatte. Auch viele kleinere Kulturen und Völker hatte es getroffen.
Seit der großen Flut(die später als »Sintflut« in den mythologischen Erzählungen verschiedener Kulturen erwähnt werden sollte) hatte Manil'bud kein menschliches Wesen mehr gesehen, weder auf dem Meer noch an den Küsten. Waren die Menschen komplett ausgerottet worden? Allein der Gedanke ließ schiere Panik in Manil'bud aufkeimen. Denn nach so langer Zeit in diesem kalten, gefühlsarmen Fischrumpf sehnte sie sich wieder nach einem menschlichen Körper und allem, was sie damit anstellen konnte.
Sie hatte sich wahrlich in den Leibern vieler Rassen und Spezies aufgehalten, aber in keinen anderen als den menschlichen, egal ob männlich oder weiblich, ließ sich eine derartige überschäumende sexuelle Lust empfinden. Lust, die nicht nur instinktgesteuert war und der Fortpflanzung diente, sondern mit Geist, Intelligenz, Liebe, Hass und weiteren herrlichen Gefühlen einher ging. Was war ein Hai dagegen?
Aber auch in allen sonstigen Belangen war das Leben der Menschen ungleich faszinierender und vielfältiger als das jedes anderen Wesens - die Hydree eingeschlossen.
Ihr Volk, das erst Millionen Jahre nach ihr hier auf Ork'huz gelandet war, hatte einen schleichenden Niedergang erlebt. Aus den einst feinsinnigen, geistig hochstehenden Beherrschern des Rotgrunds waren dumpfe, Fleisch fressende Wesen geworden, die die Grenze zu den Tieren manchmal fließend werden ließen. Hydriten nannten sie sich nun und beteten den dunklen Mar'os an, den sie als Urvater ihrer Rasse verehrten.
Manil'bud wusste es besser. Der Despot Martok'aros war vor vielen Jahrtausenden aus ihren Reihen hervorgegangen und keineswegs ihr Urvater. Aber das war unwichtig. Wichtig für sie war, dass die hydritischen Völker des Atlantiks, des Pazifiks und des Indischen Ozeans in ständiger Fehde miteinander lagen, da jedes der Völker sich als das von Mar'os Auserwählte sah und daraus das Recht ableitete, die anderen beherrschen zu dürfen.
Manil'bud wollte versuchen, beim aktuell stärksten Hydritenvolk unterzukommen und dort vielleicht sogar in eine Führungsrolle zu schlüpfen. Das würde vieles einfacher machen.
***
März 2527, Gegenwart
Khyentse fackelte nicht lange. Sie wollte den Beweis von Chans ewiger Liebe so schnell wie möglich sehen. So führte sie Alastar durch lange, diffus erleuchtete Palastgänge, die schließlich vor einer großen Stahltür endeten. Links davon stand eine brusthohe Säule mit einer elektronischen Bedienungskonsole, die auf einer abgeschrägten Fläche angebracht war. Ein rotes Licht leuchtete dort.
Zehn Schritte, bevor sie die Schleuse erreichten, hielt Khyentse den Chefexekutor an und gab ihm ein handgroßes, viereckiges Kästchen. »Häng dir das bitte um und nimm es nicht ab, solange wir drinnen sind.«
»Was ist das?«, fragte Alastar verblüfft. Er musste unwillkürlich an das Implantat denken, das er unter dem Brustbein trug und das alle telepathischen Einflüsse im weiten Umkreis blockierte. Wie genau das funktionierte, hatte er selbst nicht begriffen. Er wusste nur, dass die Operation notwendig war, damit niemand die Gedankengänge der Chefexekutoren erlauschen oder gar beeinflussen konnte.
»Eine kleine elektronische Bastelei, die einst Chan entwickelt hat«, gab die Große Rätin bereitwillig Auskunft. »Damit wirst du für die Überwachungskameras unsichtbar.« Sie kicherte. »Diesen Trick haben die Großen Räte niemals durchschaut. Chan war schon immer ein Genie, den anderen weit voraus.«
Khyentse tippte mit flinken Fingern eine längere Zahlenkombination in die Konsole. Dann schob sie kurz ihr Auge vor eine Kameralinse und legte schließlich den linken Daumen und den rechten Zeigefinger
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