2935 - Leichen lügen nicht
Blick von der russischen Bedienung.
Wie tief war er gesunken! Die ersten Jahre seiner Ehe mit Lucy waren glücklich gewesen. Seine Karriere beim FBI hatte damals gerade erst begonnen. Er war sehr ehrgeizig gewesen und hatte seine Arbeit geliebt. Dann waren die Kinder gekommen, sie waren in eine größere Wohnung gezogen und alles sah danach aus, dass sie eine typische moderne amerikanische Mittelstandsfamilie werden würden.
Bis er eines Tages gemerkt hatte, dass er sich veränderte. Der Blümchensex mit seiner Frau verlor plötzlich jeden Reiz für ihn. Er brauchte es härter, konnte nur noch Lust empfinden, wenn jemand ihm Schmerzen zufügte. Ihn demütigte. Verhöhnte.
Behutsam hatte er versucht, mit Lucy über sein Verlangen nach Schmerzen zu sprechen. Sie hatte es nicht verstanden. Es hatte sie geradezu angewidert. Also hatte er so weitergemacht wie bisher und den braven Ehemann gespielt.
Zwei Wochen nach dem Gespräch mit seiner Frau hatte er zum ersten Mal eine Domina besucht. Damals hatte sein Doppelleben begonnen.
Immer stärker wurde sein Drang, immer öfter zog es ihn zu einer dieser Frauen, die ihm die köstlichen Schmerzen verschafften. Immer neue Ausreden musste er erfinden, Meetings, Dienstreisen, überraschend angesetzte Strategiebesprechungen … Und irgendwann ging die Sache dann auch ins Geld. Trotzdem konnte er nicht davon lassen …
Und wohin hatte ihn das gebracht? Jetzt saß er richtig in der Scheiße. Die Kollegen vom NYPD waren sicher längst damit beschäftigt, die letzten Stunden im Leben von Lady Natascha alias Nancy West zu rekonstruieren. Früher oder später würden die Ermittlungen sie auch ins Holiday Inn führen. Und wenn der Nachtportier ein gutes Gedächtnis hatte, würde er sich an ihn erinnern. Als Nächstes würde eine Phantomzeichnung angefertigt. Und in den Tageszeitungen abgedruckt.
Er durfte gar nicht daran denken!
Seine Ehe, seine Arbeit – alles wäre vorbei. Thomas Gloome schloss die Augen. Im Geiste sah er sich bereits als Penner unter der Brooklyn Bridge campieren. Verdreckt, verlaust, am Ende.
Ein tiefer Seufzer der Verzweiflung entrang sich seiner Brust.
Dann knallte Mama Russland ihm einen Teller mit drei heißen Apfeltaschen auf die Tischplatte.
Im selben Moment meldete sein Smartphone den Eingang einer Nachricht. Endlich!
Er hatte bei der Agentur nachgefragt, über die er auch Lady Natascha kennengelernt hatte. Jetzt schickten sie ihm ein neues Angebot. Mighty Mona .
Er öffnete das angehängte Foto. Blond, hohe Wangenknochen, grüne Augen, schmale Lippen.
Auch Lady Natascha war blond gewesen. Aber das war auch schon die einzige Ähnlichkeit. Ihm gefiel der Ausdruck von Monas Augen nicht. Und die Nase war viel zu groß.
Aber er hatte keine Wahl. Er würde es mit ihr versuchen.
***
Am nächsten Tag begannen die Temperaturen zu steigen. Bei schwachem Wind aus südlicher Richtung kletterten sie über den Gefrierpunkt, und das einsetzende Tauwetter verwandelte die Straßen der Stadt innerhalb weniger Stunden in eine urbane Seenplatte.
Da Phils Kaffeemaschine noch immer streikte, hatte ich ihm unterwegs einen Becher Kaffee besorgt, was er mit einem breiten Grinsen quittierte.
»Genau das, was ich jetzt brauche«, strahlte er, während er es sich auf dem Beifahrersitz bequem macht. »Denn irgendwie hab ich das Gefühl, dass uns ein ziemlich unangenehmer Tag bevorsteht.«
Er sollte sich nicht täuschen – was nicht nur daran lag, dass die Stadt sich im Laufe des Tages von einer Zuckerbäckerkulisse in eine graue, tropfende Steinwüste verwandelte.
Im Stop-and-Go ging es Richtung Federal Plaza.
»Bilde ich mir das nur ein, oder war der Chef bei der Besprechung gestern irgendwie eigenartig?«, fragte Phil und stieß einen leisen Fluch aus, als er sich an dem heißen Kaffee verbrühte.
»Auf die Hypothese vom Serientäter hat er jedenfalls ziemlich reserviert reagiert«, gab ich mich diplomatisch.
»Dabei spricht doch alles dafür«, ereiferte sich mein Partner. »Seine Vorgehensweise ist in allen drei Fällen absolut identisch. Wenn er die Frauen mit einem Stich ins Herz getötet hätte oder mit einem Stich in den Hals … Aber er tut beides. Und zwar in derselben Reihenfolge. Und mit dem gleichen Stichkanal-Winkel.«
»Das wissen wir noch nicht.«
»Glaubst du im Ernst, dass die Morde von unterschiedlichen Tätern verübt wurden?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Na also. Dann wird auch der Einstichwinkel identisch sein.«
»Wir
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