2935 - Leichen lügen nicht
Blut von einer offenen OP-Wunde tupfte, sorgte sie für das körperliche Wohlbefinden einer äußerst zahlungskräftigen Klientel.«
»Mit anderen Worten, sie arbeitete als Prostituierte.«
»Und zwar auf einem Spezialgebiet«, fügte Phil hinzu. »Phoebe Franklin war eine Domina!«
***
Offenbar gab es Schwierigkeiten am Boden, denn die Maschine drehte jetzt schon die dritte Runde über dem Memphis International Airport. Ich war um 11 Uhr mit dem Chief des Memphis Police Department verabredet. Wenn das Bodenpersonal die Probleme nicht bald in den Griff bekam, würde ich den Termin kaum einhalten können.
Im Geiste ging ich noch einmal meine Aufzeichnungen durch, die ich gestern im Büro angelegt hatte, und rief mir die Einzelheiten zu dem Fall in Jacksonville ins Gedächtnis, die Phil mir bei einem wenig inspirierenden Essen in der Cafeteria berichtet hatte.
Auch Karen Chase, die vor fünf Jahren in Memphis einem Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen war, war Mitte zwanzig gewesen. Genauer gesagt: 23 Jahre alt. Sie hatte als Sachbearbeiterin in einer großen Finanzbehörde gearbeitet und sang in ihrer Freizeit im Gospel-Chor einer afroamerikanischen Gemeinde.
Daneben verdiente sie gutes Geld als Madame Maya in einem BDSM-Studio im Keller des Gentleman’s Club an der Lamar Avenue.
Die Parallelen waren einfach zu offensichtlich. Merkwürdig, dass das noch niemandem aufgefallen war.
Ich betrachtete das Foto von Karen Chase. Ein hübsches Gesicht mit einem strengen Zug um den Mund, so wie es Freier mit gewissen Neigungen mochten, die solche Studios besuchten. Ihre Mutter stammte aus Mosambik, ihr Vater betrieb ein Angelgeschäft am Buffalo Springs Lake. Beide waren strenggläubige Christen. Bei den Vernehmungen waren sie aus allen Wolken gefallen, als sie von den unmoralischen Aktivitäten ihrer ältesten Tochter erfuhren.
Der Tower hatte offenbar grünes Licht gegeben, die Boeing nahm endlich Kurs auf die Landebahn. Zum Glück ging die Abfertigung zügig über die Bühne, und ich bekam sofort ein Taxi, das um exakt vier Minuten vor elf vor dem Gebäude in der Poplar Avenue anhielt.
Chief Armstrong empfing mich ausgesprochen herzlich. Er war über mein Anliegen informiert und hatte sich die entsprechende Akte anscheinend genau angesehen, denn er zeigte sich bis in die Details bestens unterrichtet. Zu unserer Besprechung zog er noch den Deputy Chief, einen Captain und zwei Officers hinzu, die damals mit der Aufklärung des Falles betraut gewesen waren. Auch der Medical Examiner, der Karen Chase unmittelbar nach ihrem gewaltsamen Tod untersucht hatte, gab in einem kurzen, fundierten Bericht seine Eindrücke wieder.
Als ich das Gebäude drei Stunden später verließ, hatte ich das unangenehme Gefühl, trotzdem nichts grundlegend Neues erfahren zu haben.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich: War die Dienstreise am Ende doch überflüssig gewesen? Wäre ich besser in New York geblieben und hätte meinen Kollegen dabei unterstützt, etwas mehr Licht in das Leben von Nancy West zu bringen?
Ich fuhr zurück ins Crowne Plaza , wo ich abgestiegen war, und rief Sid Lomax an.
»Nichts Neues von Joe Cumber?«
»Leider nein, Jerry. Der Typ ist wie vom Erdboden verschluckt. Auch meine besten Informanten, die das Gras normalerweise wachsen hören, können mir nicht sagen, wohin dein Mann abgetaucht ist. Sehr ungewöhnlich.«
Und verdammt ärgerlich.
»Glaubst du, er hat die Stadt verlassen?«
»Auch das ist möglich. Obwohl wir ziemlich schnell an ihm dran waren und meine Leute die Flughäfen und den Port Authority Bus Terminal unter Kontrolle hatten.«
Ich dankte Sid und wünschte ihm weiter viel Glück bei der Suche nach Joe Cumber. Dann fuhr ich hoch in mein Zimmer und ging noch einmal sämtliche Unterlagen durch in der Hoffnung, ein entscheidendes Detail übersehen zu haben.
Hatte ich nicht.
Ich versuchte Phil zu erreichen, sprach einen kurzen Bericht über meinen frustrierenden Ausflug nach Memphis auf die Mailbox, ging eine Stunde in den Fitnessraum, duschte, zog mich um und setzte mich in die Hotelbar, ohne recht zu wissen, was ich dort wollte.
Als sich mein Magen meldete, wechselte ich rüber ins Restaurant, aß etwas, das vor ein paar Tagen noch im Atlantik geschwommen hatte, trank ein alkoholfreies Bier dazu und ging zurück in die Bar.
Vielleicht war es gar nicht so schlecht, mal ein bisschen Abstand zum Ermittlungsalltag an der Federal Plaza zu bekommen. Mit umso mehr Elan würde ich mich nach meiner
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