2935 - Leichen lügen nicht
ein weiteres Stück Würfelzucker in seinen Kaffee fallen und rührte gedankenverloren um. Wenn ich richtig mitgezählt hatte, war es Nummer sieben.
»Welche Rolle spielt dieser Filmproduzent, dieser …«
»Sam Sullivan …«
»Hat er überhaupt etwas mit der ganzen Geschichte zu tun oder ist er eine tote Spur?«
»Dazu müssten wir erst mal klären, ob er Nancy West überhaupt gekannt hat.«
Unser Chef runzelte fragend die Stirn.
»Er selbst streitet das ab. Für ihn sei sie nur eine der vielen Statistinnen gewesen, die in seinem Castingbüro ein- und ausgehen. Er behauptet steif und fest, sich an eine Nancy West nicht erinnern zu können.«
»Laut ihren Eltern war sie dagegen bereits zu Probeaufnahmen in seinem Studio und stand unmittelbar vor dem Start einer großen Schauspielerkarriere. Er hat sie sogar einmal persönlich nach Hause gebracht und ihr Talent in den höchsten Tönen gelobt.«
»Das ist einer der offenen Punkte, die wir mit den Eltern klären wollten«, sagte ich und hob die Hand wie zur Entschuldigung. »Leider kamen wir zu spät.«
Einen kurzen Moment dachte ich daran, den Mann zu erwähnen, den Sullivan ›Monty‹ genannt hatte und dessen Gesicht mir bekannt vorgekommen war. Aber da mir immer noch nicht eingefallen war, wo ich ihm schon einmal begegnet war, verwarf ich den Gedanken gleich wieder.
Mr High nippte an seinem Kaffee, verzog kurz das Gesicht und stellte die Tasse wieder ab. Im Gegensatz zu ihm hatte ich beim Zucker offenbar richtig mitgezählt.
»Bei allem, was an diesem Fall noch unklar ist – und das ist eine ganze Menge –, gibt es doch zumindest in einem Punkt eine hohe Übereinstimmung: Der Mord an Nancy West wurde von demselben Täter verübt, der vorher schon die Frauen in Memphis und Jacksonville getötet hat.«
Phil sah Mr High erwartungsvoll an, aber unser Chef verzog keine Miene.
»Der Modus operandi ist in allen drei Fällen exakt identisch: Zuerst der Stich in die rechte Halsseite, der den Kehlkopf zerstört. Dann der tödliche Stich von unten nach oben durch den Bauchraum ins Herz. Eine solche Vorgehensweise spricht eindeutig für einen Serientäter.«
Mr High fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Phil warf mir einen kurzen Blick zu, dann wandte er sich wieder an unseren Chef.
»Jerry und ich sind der Meinung, es könnte sinnvoll sein, sich vor Ort ein Bild über die beiden zurückliegenden Mordfälle zu machen. Vielleicht gewinnen wir wertvolle Erkenntnisse, die uns bei der Aufklärung der Verbrechen an Nancy West und ihren Eltern helfen können.«
Mr High schwieg lange Zeit. Aber im Grunde war es gar kein Schweigen. Es war ein bewusstes Verweigern von Informationen und machte mich ärgerlich und neugierig zugleich. Was zum Teufel durften wir nicht wissen? Und warum?
Er erhob sich ohne ein Wort zu sagen und trat wieder ans Fenster. Leichter Schneefall hatte eingesetzt. In den mächtigen Wolkenkratzern in Downtown wurden die ersten Lichter eingeschaltet. Die Tage waren kurz, und die tief hängenden Wolken machten sie noch kürzer.
»Konzentrieren Sie sich auf Nancy West und ihre Eltern«, kam es ruhig vom Fenster. Noch immer wandte unser Chef uns den Rücken zu. »Die Serientäter-Theorie ist nicht mehr als eine Hypothese. Ich brauche mehr Anhaltspunkte, um eine solche Dienstreise genehmigen zu können.«
So leicht wollte Phil sich nicht geschlagen geben.
»Natürlich können wir uns die entsprechenden Ermittlungsakten auf den Schirm holen. Aber Sie wissen selbst, es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Sie einen Fall auf der Grundlage von Aktennotizen und Verhörprotokollen beurteilen oder ob Sie mit den Leuten persönlich reden, die …«
»Es wird keine Dienstreise geben. Das ist eine endgültige Entscheidung!«
Damit war die Besprechung beendet.
Kaum hatten wir sein Büro verlassen, wandte Mr High sich vom Blick auf das verschneite New York ab. Seine Miene war ernst und entschlossen, eine leichte Röte überzog die Haut, die über den hohen Wangenknochen spannte. Er ging zum Schreibtisch und betätigte den Knopf der Wechselsprechanlage.
»Helen, bringen Sie mir bitte die Personalakte von Thomas Gloome!«
***
Thomas Gloome schlug den Kragen seines Trenchcoats hoch. Es war kalt in New York. Schweinekalt. Und es hörte einfach nicht auf zu schneien.
Seit drei Stunden lief er durch die Bowery. Oder war er schon im East Village? Er hatte längst die Orientierung verloren. Lief einfach immer weiter. Er
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