2935 - Leichen lügen nicht
Information doch lieber für sich behalten.
»Wir hatten die Akte gerade geschlossen, als ein Inspektor von der FBI-Zentrale in Washington im Department aufkreuzte und damit begann, merkwürdige Fragen zu stellen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. Davon war mir nichts bekannt. Auch Mr High hatte einen solchen Besuch nie erwähnt.
»Sie meinen, er stellte Fragen zum Fall Karen Chase?«
Der Officer nickte.
»Er nahm die Akte mit ins Hotel, und als er sie durchgearbeitet hatte, kam er zurück und fragte uns Löcher in den Bauch. Er wollte buchstäblich alles wissen, was wir über Karen Chase herausgefunden hatten. Tagesablauf, Arbeitsstelle, Kollegen, Verdienst, Familie, Freunde, Hobbys. Alles.«
Das war allerdings ungewöhnlich, zumal es sich bei dem Mordopfer um eine gewöhnliche Angestellte gehandelt hatte.
»Womit hat er dieses Interesse begründet?«
»Überhaupt nicht. Fragen, die in diese Richtung gingen, hat er schlichtweg ignoriert. Er war das, was man landläufig als harten Knochen bezeichnet.«
Inspektoren sind beim FBI im Allgemeinen für interne Ermittlungen zuständig. Sie sind nicht an ein bestimmtes Field Office gebunden, um möglichen Loyalitätskonflikten vorzubeugen, und werden von Washington gerne als Trouble-Shooter eingesetzt, wenn es in einer Dienststelle zu Schwierigkeiten oder Unregelmäßigkeiten kommt. Auch überprüfen sie regelmäßig, ob ein Büro noch effizient arbeitet, und machen Verbesserungsvorschläge, wenn dies nicht der Fall ist.
Dass ein Inspektor in einem lokalen Police-Department ermittelte, kam eher selten vor.
»Nach zwei Wochen brach der Inspektor seine Zelte wieder ab, und wir haben nie wieder von ihm gehört.«
Ich nickte dem jungen Mann freundlich zu.
»Danke, Officer. Auch wenn ich im Moment noch nicht abschätzen kann, welche Bedeutung diese Information für meine Untersuchung hat, finde ich es sehr anständig von Ihnen, dass Sie mich über den Vorgang ins Bild gesetzt haben. Selbstverständlich wird Ihr Vorgesetzter nichts davon erfahren.«
»Mein Bericht ist noch nicht zu Ende«, sagte er schnell. Ich ließ meine Hand wieder sinken, die nach dem Bourbonglas greifen wollte.
»Ungefähr einen Monat nach diesem Zwischenfall wurde im Field Office Memphis einer Ihrer Kollegen versetzt. Den genauen Grund der Versetzung habe ich nie erfahren, es hieß aber, er hätte im Rahmen einer groß angelegten Ermittlungsaktion vertrauliche Informationen an die falschen Leute weitergegeben.«
Ich runzelte die Stirn. Das erfüllte den Tatbestand des Geheimnisverrats. Sollte sich der Verdacht als zutreffend erweisen, hätte er allerdings keine Versetzung zur Folge, sondern die fristlose Kündigung.
»Ist Ihnen zufällig der Name des betroffenen Agent bekannt?«, wollte ich wissen.
»Sein Name ist Thomas Gloome«, antwortete Officer Martin Brand mit fester Stimme. »Er wurde versetzt ins Field Office Jacksonville.«
***
Phil Decker, Joe Brandenburg und Zeerookah waren auf dem Weg nach Tribeca.
Am Morgen hatte Phil seine beiden Kollegen zusammengetrommelt und in groben Zügen mit dem Mordfall Nancy West vertraut gemacht.
»Das Problem ist: Wir wissen nach wie vor so gut wie nichts über das Leben, das sie zuletzt geführt hat.«
Er reichte seinen Kollegen einige Fotos der jungen Frau, die ihre Mutter ihnen überlassen hatte.
»Nachdem ihr Freund sich aus dem Staub gemacht hat und ihre Eltern nicht mehr leben, gibt es niemanden mehr, den wir danach fragen könnten. Familienangehörige: Fehlanzeige. Freunde: Zumindest nicht bekannt. Und in den Sullivan Studios tauchte sie nur selten auf und war so gut wie unbekannt.«
»Es sei denn, sie hatte noch einen anderen Job«, warf Joe Brandenburg ein.
»Oder mehrere«, ergänzte Zeery. Angesichts der Tatsache, dass das Leben in unserer Stadt immer teurer und die Löhne immer mieser wurden, gab es immer mehr Menschen, die auf zwei oder mehr Jobs angewiesen waren, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten.
»Das sind die Fragen, die wir klären müssen«, bestätigte Phil. »Morgen ist Jerry von seiner Dienstreise zurück. Er würde sich bestimmt freuen, wenn wir ihm Ergebnisse präsentieren könnten.«
Die nächsten beiden Stunden verbrachten die Agents damit, ihre verschiedenen Informanten anzuzapfen. Jeder gute Agent verfügt über solche Kontakte. In der Regel handelt es sich um Leute, oft Kleinkriminelle, die in der Halb- oder Unterwelt gut vernetzt sind. Für sie war diese Form der Zusammenarbeit nicht immer ganz
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