2950 - Es ist nie zu spät zum Sterben
Lester McLane war, wie uns Jenna Urich erzählte, nach der Scheidung zunächst nach Florida gezogen, aber seit einem Jahr wieder in den Norden zurückgekehrt.
Sie lebte jetzt zurückgezogen in einer idyllisch gelegenen Siedlung unweit der Küste des Long Island Sound, jener ausgedehnten Bucht, die sich zwischen Long Island und dem amerikanischen Festland erstreckt. Der Ort, in dem Carlotta McLane lebte, gehörte bereits nicht mehr zum Staat New York, sondern zu Connecticut.
Die Straßen waren klein, und selbst auf das Navigationssystem des Jaguar war da nur bedingt Verlass.
»Ein paar Autominuten von New York entfernt beginnt anscheinend der Dschungel«, meinte Phil, nachdem wir uns zunächst verfahren hatten, da die Verkehrsführung geändert worden war und der einzige Weg jetzt über einen nicht vom Navigationssystem beachteten Weg ging, für den man eigentlich besser einen SUV genommen hätte.
Aber schließlich erreichten wir die Siedlung doch noch. New Bayside hieß das Nest. Carlotta McLane bewohnte ein kleines, mitten im Wald gelegenes Holzhaus. Anscheinend war sie allein. Als wir ausstiegen, war sie gerade dabei, eine Lehmfigur zu formen. Etwa ein Dutzend fertiger Skulpturen stand da bereits. Die Formen erinnerten entfernt an Menschen. Aber man konnte sich auch alles Mögliche an Formen vorstellen, die auf diese Weise dargestellt worden waren.
Ich stellte den Motor des Jaguar ab. Wir stiegen aus.
Carlotta McLane war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie uns zunächst gar nicht zu bemerken schien. Dann blickte sie auf und starrte uns an, als wären wir Aliens. Offenbar bekam sie nicht oft Besuch.
»Sie sind nicht eingeladen«, sagte sie. »Was immer Sie auch wollen: Verschwinden Sie besser.«
»Jerry Cotton, FBI«, stellte ich mich vor und deutete auf Phil. »Dies ist mein Kollege Agent Phil Decker. Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Sie wirkte überrascht. »Ich dachte schon, Sie sind Anwälte, die mein Ex-Mann geschickt hat. Der will mich nämlich in die Klapsmühle einweisen lassen, damit er mir meinen Anteil an seiner Firma wegnehmen kann.«
»Keine Sorge, das ist nicht unsere Absicht«, stellte ich dann klar.
»Und worum geht es dann? Will Lester mir jetzt irgendetwas anhängen, um mich kleinzukriegen? Bestellen Sie ihm schöne Grüße und sagen Sie ihm, dass ich meine Anteile nicht verkaufe. Für keinen Preis, den er zu zahlen bereit ist.«
»Lester McLane ist tot«, sagte ich nüchtern.
Sie schien einige Augenblicke zu brauchen, ehe sie wirklich begriff, was ich da gesagt hatte. »Können Sie das noch mal sagen?«, fragte sie dann. »Oder machen Sie nur einen Witz auf meine Kosten?«
»Wir versuchen, seinen Mörder zu finden.«
»Meinetwegen können Sie den ruhig davonkommen lassen. Er hat mir einen Gefallen getan. Und Lester hatte es nicht anders verdient! Mich wegen so einer Schlampe zu verlassen …« Ihre Augen blitzten, als sie mich jetzt ansah und sich von ihrem Platz erhob. »Bin ich jetzt verdächtig?«
»Hören Sie, auch wenn Sie der Tod Ihres Ex-Mannes nicht gerade emotional aus den Socken haut …«
»Das ist aber nett formuliert!«
»… so sollten Sie sich etwas zusammennehmen und uns ein paar Auskünfte geben. Der Täter ist für eine Reihe weiterer Morde verantwortlich, und wir gehen davon aus, dass er wieder zuschlagen wird. Jede Information, die Sie uns vorenthalten, und jedes Herumgezicke, das uns Zeit kostet, kann für jemand anderen den Tod bedeuten.«
Sie wischte die Hände an ihrer Jeans ab und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben anscheinend einen ziemlich ausgeprägten Sinn für Dramatik, Mister.«
» Agent Cotton.«
»Wie auch immer.«
»Sie haben die Wahl. Wir können das hier erledigen, oder Sie kommen mit uns ins Field Office. Und dann verbringen Sie erst mal eine ganze Zeit in den Verhörräumen. So eine Aussage aufzunehmen, das kann dauern. Das liegt ganz bei Ihnen.«
Sie schluckte. »Okay, stellen Sie Ihre Fragen. Aber eins sage ich Ihnen gleich zu Anfang: Es ist überhaupt kein Wunder, dass irgendjemand so große Wut auf Lester hat, dass er ihn umgebracht hat. Er war nicht unbedingt ein netter Kerl. Allerdings pflegte sich seine miese Art meistens erst zu offenbaren, wenn man länger mit ihm zu tun hatte.«
»Sie haben ihn ja immerhin mal geheiratet«, gab Phil zu bedenken. »Und wie ich vermute, war das keine Zwangsheirat.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Eine Strähne ihrer Haare fiel ihr bei der ruckartigen
Weitere Kostenlose Bücher