296 - Totes Land
gingen gerade am von Kletterpflanzen bewachsenen Skelett eines Autos vorbei und verschwanden ums nächste Hauseck. Sie waren auf dem Weg zu einem Ritual - und das fand sicher beim Tempel statt!
Mit einem raschen Blick vergewisserte sich Matt, dass sich keine anderen Menschen in der Nähe aufhielten, dann huschte er aus dem dunklen Eingang und heftete sich an die Fersen der Passanten. Stets achtete er darauf, dass er sich weiterhin im Schatten hielt oder schnell in eine Deckung verschwinden konnte, doch das war gar nicht nötig. Keiner der Verfolgten drehte sich auch nur einmal um.
Minutenlang schlich Matt den Prypten durch verlassene Straßen nach. Schließlich erreichten sie einen Platz vor einem großen, offiziell aussehenden Flachbau, dessen Front viele dünne Steinsäulen zierten. Vielleicht das ehemalige Rathaus. Oder ein Museum. Eine bogenförmige Mauer grenzte die Fläche aus rissigen Asphaltplatten ab, zwischen denen sich Moosbüschel oder dicke Grashalme ans Licht schoben.
Im letzten Augenblick zuckte Matt zurück und verbarg sich hinter einem umgestürzten Bus. Vor dem Haus hatten sich Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen versammelt! Und er wäre ihnen in seiner Nachlässigkeit beinahe in die Arme gelaufen. Dabei hätte er das Stimmengewirr schon einige Querstraßen weiter hören müssen! Unter normalen Umständen wäre ihm das nicht passiert.
Na egal, es war ja gerade noch einmal gutgegangen.
Die Prypten auf dem Versammlungsplatz ähnelten in ihren Deformationen alle Anatoli Akimow. Gaumenspalten, übergroße Stirnplatten, zugewachsene Augen, fehlende oder verformte Nasen. Keiner von ihnen trug einen Mundschutz. Warum auch immer. Vielleicht war diese Art der Kleidung während des Rituals nicht statthaft. Matt war es egal.
Plötzlich verstummte das Stimmengewirr. Wie auf Kommando ruckten sämtliche Blicke zum Eingang des großen Gebäudes, aus dem zwei völlig vermummte Männer traten. Gelbe Schutzanzüge, zusammengeschnürte Kapuze, Handschuhe, Gasmaske.
Jubel brandete auf. In Matts Ohren klang er allerdings wie einstudiert. Mechanisch. Kaum herzlich.
»Die Liquidatoren kommen!«
»Die Prozession kann beginnen!«
»Lasst uns zum Tempel pilgern.«
»Das Ritual der Reinheit ruft uns zu sich.«
Dennoch schien etwas nicht zu stimmen. Die Vermummten wirkten ungeduldig. Ihr Blick klebte förmlich am Hauseingang, durch den sie gerade getreten waren. Warteten sie auf jemanden?
Tatsächlich hetzte etliche Sekunden später ein dritter Liquidator aus dem Gebäude und schloss sich seinen Kollegen an. Er machte auf Matt einen unsicheren Eindruck. Als wisse er nicht, wo sein Platz war und was er als Nächstes zu tun hatte.
Mit einem Mal kam Ordnung in die Menschenmenge. Sie baute sich hinter den Vermummten auf und begannen aus vollem Hals zu singen.
»Kalinka, kalinka, kalinka moya! V sadu yagoda malinka, malinka moya!«
Das alte russische Volkslied! Wäre die Situation nicht so traurig gewesen, hätte Matt in sich hineingegrinst.
Dann setzte sich die Prozession in Bewegung. Die drei Liquidatoren schritten voran, wobei sich der Nachzügler etwas zurückfallen ließ, und die Prypten folgten ihnen unter rituellen Gesängen. Mit ausreichendem Sicherheitsabstand schloss Matt sich an.
Auch wenn sie auf ihn anfangs einen widerwilligen Eindruck gemacht hatten, schienen sie mit jedem Meter tiefer in eine Trance zu fallen. Vielleicht schalteten sie auch nur geistig ab, weil sie diesen Aufmarsch schon so oft mitmachen mussten.
So fiel ihnen offenbar auch nicht auf, dass der dritte Liquidator eher stolperte als ging. Als sei er betrunken oder krank. Noch bevor sie die Stadtgrenze erreichten, befand er sich im hinteren Drittel der Prozession.
Dann führte der Weg in den Wald.
Wenn Matt sich richtig an die Ausführungen ihres Prypter Wächters Akimow erinnerte - was er bei seinem Gedächtnis derzeit nicht beschwören wollte! -, fand das Ritual der Reinheit üblicherweise einmal im Monat statt. Und das vermutlich seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten. Dementsprechend ausgetreten und breit stellte sich der Pfad zwischen den Bäumen dar.
Dennoch bot die angrenzende Flora genügend Sichtschutz für Matt. Vereinzelt musste er ins Innere des Walds ausweichen, um den Sträuchern mit den Froschmäulern oder ähnlichen Pflanzen nicht zu nahe zu kommen. Doch kam er nie so weit vom Weg ab, dass er den Anschluss nicht wieder herstellen konnte.
Sie waren vielleicht einen Kilometer unterwegs, da hatte es den
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