297 - Die Zeit läuft ab
streckte den Arm aus und ließ die Handfläche auf Mutter sinken. Kroow löste die Verbindung. Der Geist des Mannes war wieder frei, aber es war zu spät. Schon berührten seine Fingerspitzen den Stein.
»Was…? Nein!«, keuchte er, als er wahrnahm, wie seine Finger hart und steif wurden. In atemberaubendem Tempo breitete sich die Versteinerung über seinen verkrampften Körper aus. Fasziniert sah Kroow, wie sich die blasse Linie der zunehmenden Verhärtung erst über den Ellenbogen und dann bis hinauf zur Schulter ausbreitete.
»Nein!«, brüllte der Mann. »Ich will nicht! Ich…«
Doch, du willst es! , hörte Kroow jetzt Mutters Stimme. Sie war aus ihrer Stasis erwacht und klang von Wort zu Wort deutlicher und fester. Du möchtest es. Ich will es so .
Ein seliger Ausdruck trat auf die Züge des langsam Versteinernden. »Ja! Ich… ich möchte es!«, stieß er hervor und seufzte sogar genussvoll. Er öffnete den Mund und atmete tief ein. »Ich…«
Weiter kam er nicht mehr. Wie ein Schatten legte sich die Blässe der Verhärtung über das Gesicht des Mannes. Kroow sah, wie die Zunge in seinem Mund von einem tiefen Rot erst zart-rosa wurde und dann - wie der Rest des bereits versteinerten Körpers - ein schmutziges Beige annahm.
Augenblicke später war es vorbei. Mutter hatte die komplette Lebensenergie des Mannes in sich aufgenommen. Seine steinerne Hülle berührte sie noch immer.
Ich danke dir! , formulierte das Steinwesen an Kroow gewandt. Wie ich sehe, hast du noch mehr Energie für mich. Es schmerzt mich zwar, dass ich meine Kinder opfern muss, um selbst zu überleben, aber es geht nicht anders. Ich wäre beinahe gestorben… Du, komm zu mir! Crow wusste, dass Mutter jetzt zu dem anderen Mann sprach, den er immer noch unter Kontrolle hielt. Als er sich nicht rührte, durchströmte ihn ein Gefühl von Missmut.
Du kannst ihn gehen lassen! , sagte Mutter in ungeduldigem Ton. Ich bin jetzt stark genug, ihm selbst zu befehlen! Du brauchst ihn nicht zu zwingen. Er wird es gerne tun.
Wie du meinst , antwortete Crow, zog den kontrollierenden Tentakel aus dem Genick des Mannes und beobachtete gespannt, wie dieser neben den Versteinerten trat. Das Schauspiel der Aushärtung wiederholte sich. Der Mutter -Stein leuchtete von Augenblick zu Augenblick heller, schien kräftiger in seinen Farben und im Umriss zu werden, kurz: präsenter zu sein als noch Minuten zuvor.
Dann war auch der zweite Mensch seiner Lebensenergie beraubt und zu Stein geworden.
Mutter strahlte ein Gefühl von Zufriedenheit aus, wenn auch eines, das eindeutig auf einer Sättigung beruhte, die nur vorübergehend sein konnte. Jetzt geht es mir besser , sandte sie aus. Eine Welle von Irritiertheit richtete sich an Crows Geist. Warum hast du mir geholfen? Ich kann dich nicht beeinflussen, nur mit dir kommunizieren. Du bist nicht wie die anderen. Kein Mensch, auch wenn du zum Teil wie einer denkst. Wer bist du? Was bist du ?
Ich bin Kroow , stellte er sich vor. Zwei Geister in einem Körper. Zum Teil - der Teil, der jetzt mit dir spricht - bin ich General Arthur Crow. Wir haben dich aus deinem Gefängnis bei den Hydriten befreit. Dass der Koordinator ein Geschöpf der Hydriten war, verschwieg er vorsichtshalber. Es war nicht abzuschätzen, die der Stein darauf reagieren würde.
Sie haben mich eingesperrt! , erinnerte sich Mutter. Sie haben sich gegen mich aufgelehnt und mich verhungern lassen. In dem mobilen Körper, den ich mir schaffen ließ!
Deine Kinder sind gekommen, um dich zum Ursprung zu bringen , fuhr Crow fort, ohne zu wissen, was dieser Ursprung überhaupt war. Vielleicht ging Mutter ja darauf ein und er erfuhr mehr darüber. Sie haben mir ein lohnendes Angebot gemacht dafür, dass ich dich hole und ihnen übergebe.
Mutter sandte die mentale Entsprechung einer Zustimmung. Ich merke, dass wir uns dem Ursprung nähern. Endlich kann ich zurückkehren… Du hast mir und meinen Kindern einen großen Dienst erwiesen, Kroow. Wie kann ich mich bei dir bedanken?
Ich würde gerne mehr über dich erfahren , antwortete er. Aber lass mich erst ein wenig Platz schaffen. Ich werde die Versteinerten über Bord werfen lassen.
Die beiden Wachen des Lagerraums setzten sich auf Kroows Gedankenbefehl hin in Bewegung, fassten den ersten Versteinerten an Schultern und Beinen und hievten ihn aus dem Schott.
In Arthur Crow wuchs die Neugierde auf das, was Mutter ihm erzählen würde. Er ahnte noch nicht, wie sehr ihn dieses neue Wissen schockieren
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