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3 - Wächter des Zwielichts

3 - Wächter des Zwielichts

Titel: 3 - Wächter des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Grundlage hat? Ob man sie mit wissenschaftlichen Methoden messen kann? Das weiß ich nicht. Möglicherweise wird das niemals irgendjemand herausfinden. Zweitens: Niemand kann die eigene magische Kraft lenken. Sie verteilt sich im Raum, wird vom Zwielicht aufgesaugt, teilweise vom blauen Moos gefressen, teilweise von den Anderen aufgenommen. Verstehst du? Es sind zwei Prozesse: die Ausstrahlung der eigenen magischen Kraft und die Aufnahme fremder. Der erste ist unfreiwillig und nimmt zu, je weiter wir ins Zwielicht eintauchen. Der zweite ist in gewisser Weise ebenfalls für alle typisch, für Menschen und Andere. Ein krankes Kind bittet seine Mutter: >Setz dich zu mir, streich mir über den Bauch!< Die Mutter streichelt es - und der Schmerz verschwindet! Eine Mutter möchte ihrem Kind helfen, und ihre Kraft wirkt zumindest teilweise zielgerichtet. Die so genannten übersinnlichen Menschen - kastrierte Andere, wenn du so willst - können ihre Kraft nicht nur bei ihnen nahe stehenden Menschen einsetzen und nicht nur in einem Zustand psychischer Erregung, sondern auch fremde Menschen heilen oder verfluchen. Die aus ihnen herausströmende Kraft ist bereits stärker geformt. Kein Dampf mehr, aber auch noch kein Eis, sondern Wasser. Drittens: Wir sind die Anderen. Bei uns ist das Gleichgewicht zwischen Abgabe und Aufnahme zugunsten der Absorption verschoben.« »Was?«, rief ich aus.
    »Du hast wohl gedacht, alles sei so einfach wie bei den Vampiren?« Geser lächelte belustigt. »Du glaubst wohl, die Anderen nehmen nur, ohne im Gegenzug etwas zu geben? Nein, wir alle geben die Kraft ab, die wir produzieren. Aber während sich der Prozess von Aufnahme und Abgabe bei einem normalen Menschen in einem dynamischen Gleichgewicht befindet, das nur selten - in Fällen innerer Anspannung - gestört wird, liegen die Dinge bei uns anders. Bei uns ist das Gleichgewicht prinzipiell gestört. Wir schöpfen aus unserer Umwelt mehr, als wir abgeben.«
    »Und über die Differenz können wir frei verfügen?«, fragte ich. »Ja?«
    »Wir arbeiten mit den Unterschieden zwischen den einzelnen Potenzialen.« Geser drohte mir abermals mit dem Finger. »Es ist nicht wichtig, welche magische Temperatur du hast ... Diesen Ausdruck haben früher die Hexen benutzt. Du könntest sehr viel Kraft generieren, aber dann würde das Tempo ihrer Abgabe in einer geometrischen Progression wachsen. Es gibt solche Andere ... Sie stecken sogar mehr Kraft als die Menschen in die allgemeine Sparbüchse, nehmen aber auch verstärkt Kraft auf. Diesen Unterschied zwischen den Potenzialen machen sie sich bei ihrer Arbeit zunutze.«
    Geser verstummte kurz, um dann selbstkritisch hinzuzufügen: »Das sind allerdings Einzelfälle, das gebe ich zu. Viel öfter bleiben die Anderen hinter den Menschen zurück, wenn es um die Produktion magischer Kraft geht, sind ihnen dafür bei der Aufnahme von Kraft aber ebenbürtig oder überlegen. Dinge wie eine Durchschnittstemperatur bei Kranken gibt es nicht, Anton. Wir sind keine banalen Vampire. Wir sind eben auch noch Spender.«
    »Warum klärt uns darüber niemand auf?«, wollte ich wissen. »Warum nicht?«
    »Weil wir, simpel betrachtet, eben doch nur fremde Kraft verbrauchen!«, polterte Geser. »Was kreuzt du hier überhaupt in aller Herrgottsfrühe auf? Warum kommst du mir mit diesen wüsten Beschimpfungen? Hach Gottchen, wir verbrauchen die Kraft, die die Menschen erarbeitet haben! Dabei musstest du sie dir sogar schon mal direkt holen! Sie wie ein richtiger Vampir absaugen! Das war nötig, und damals hat dir das auch keine schlaflosen Nächte bereitet! Du bist losgezogen, die Unschuld selbst, und Traurigkeit stand dir auf die edle Stirn geschrieben! Während hinter dir kleine Kinder geweint haben!« Natürlich hatte er Recht. Teilweise.
    Doch ich hatte schon lange genug in der Wache gearbeitet, um zu verstehen: Eine Halbwahrheit ist auch eine Lüge. »Lehrer...«, sagte ich leise, worauf Geser zusammenzuckte.
    Ich hatte mich genau an dem Tag geweigert, sein Schüler zu sein, als ich mir von den Menschen Kraft holte.
    »Was ist, Schüler?«, erwiderte er, indem er mir in die Augen sah.
    »Es kommt doch nicht darauf an, wie viel Kraft wir verbrauchen und wie viel wir abgeben«, meinte ich. »Ist das Ziel der Nachtwache, abzugrenzen und zu schützen, Lehrer?« Geser nickte.
    »Abzugrenzen und zu schützen bis zu dem Tag, an dem die Moral der Menschen eine bessere ist und neue Andere sich nur noch dem Licht zuwenden?« Abermals

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