3 - Wächter des Zwielichts
diese Grenze bereits überschritten hatte. Der jagte und mordete ... »Ihr mordet... um an Nahrung zu kommen«, sagte ich.
»Aber für Macht, für Geld, zum Spaß - das ist anständiger?«, fragte Kostja bitter. Er wandte sich mir zu und schaute mich an. »Warum... widert es dich so an, mit mir zu reden? Wir sind doch mal Freunde gewesen. Was hat sich bloß geändert?« »Du bist ein Hoher Vampir geworden.« »Ja, und?« »Ich weiß, wie Vampire zu Hohen Vampiren werden, Kostja.«
Einige Sekunden lang sah er mir in die Augen. Dann zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab. Ein Vampirlächeln - bei dem du im Mund die Eckzähne zwar noch nicht sehen kannst, du die Dinger aber schon an deinem Hals spürst.
»Ach ja... Man muss das Blut unschuldiger junger Frauen und Kinder trinken, sie ermorden... Das alte, klassische Rezept. So ist Viteszlav ein Hoher Vampir geworden ... Willst du damit sagen, du hättest niemals einen Blick in mein Dossier geworfen?« »Ja«, bestätigte ich.
Er sackte förmlich in sich zusammen. Sein Lächeln wirkte mit einem Mal mitleidheischend und verwirrt. »Nicht einmal?«
»Genau«, antwortete ich, obwohl mir bereits schwante, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Ungeschickt breitete Kostja die Arme aus - und dann legte er los, wobei er ausschließlich mit Konjunktionen, Interjektion und Pronomen auskam. »Ah ... ha ... wie ... du ... dabei ... ich ... aber du...«
»Ich schaue nicht gern in das Dossier eines Freundes«, sagte ich und fügte dummerweise hinzu: »Selbst wenn es ein ehemaliger Freund ist.«
»Und ich habe gedacht, du hättest es dir angesehen«, sagte Kostja. »Gut. Wir leben im 21. Jahrhundert, Anton. Also ...« Er griff in die Tasche seines Jacketts und zog sein Fläschchen heraus. »Das ist ein Konzentrat... Spenderblut. Zwölf Menschen haben ihr Blut gegeben ... Man muss niemanden umbringen. Hämoglobin hat in der Tat nichts damit zu tun! Wichtiger sind die Emotionen, die ein Mensch empfindet, wenn er Blut spendet. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie viele Menschen eine Todesangst davor haben und trotzdem zum Arzt gehen, um Blut für ihre Verwandten zu spenden. Mein persönliches Rezept ... das Sauschkin-Rezept. Meist spricht man jedoch vom Sauschkin-Cocktail. Vermutlich steht das im Dossier.«
Triumphierend sah er mich an - und konnte einfach nicht begreifen, warum ich nicht lächelte. Warum ich nicht schuldbewusst murmelte: »Kostja, verzeih mir, ich habe dich für ein Arschloch und einen Mörder gehalten ... dabei bist du ein ehrlicher Vampir, ein guter Vampir, ein moderner Vampir...«
Ja, auch das war er. Ehrlich, gut und modern. Nicht umsonst hatte er in einem Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Hämatologie gearbeitet.
Aber warum hatte er die Zusammensetzung erwähnt? Das Blut von zwölf Menschen?
Obwohl schon klar war, warum. Woher sollte ich den Inhalt des Fuaran kennen? Woher sollte ich wissen, dass für den Zauber eben das Blut von zwölf Menschen nötig ist?
Viteszlav standen keine zwölf Menschen zur Verfügung. Er konnte den Zauber aus dem Fuaran nicht wirken und seine Kraft auf diese Weise nicht erhöhen. Aber Kostja hatte sein Fläschchen.
»Anton, was hast du?«, fragte Kostja. »Warum sagst du denn nichts?«
Gerade trat Edgar aus dem Abteil des Zugführers, sagte etwas, drückte dem Mann die Hand und kam auf uns zu, auf den Lippen immer noch ein zufriedenes Lächeln. Ich starrte Kostja an. Und las alles in seinen Augen. Er hatte verstanden, dass ich verstanden hatte.
»Wo hast du das Buch versteckt?«, fragte ich. »Sag's. Das ist deine letzte Chance. Deine einzige Chance. Mach dich nicht unglücklich ...«
In dem Augenblick schlug er zu. Ohne jede Magie -wenn man die übermenschliche Kraft eines Vampirs nicht als Magie betrachtet. Mit einem weißen Blitz explodierte die Welt, in meinem Mund knackten die Zähne, und mein Kiefer schien wie gelähmt. Ich flog bis ans eine Ende des Ganges und prallte auf einen Mitreisenden, der nicht rechtzeitig aus dem Weg gegangen war. Vermutlich sollte ich mich bei ihm bedanken, dass ich nicht das Bewusstsein verloren hatte - an meiner Stelle wurde er ohnmächtig.
Kostja stand da und rieb sich die Faust. Sein Körper flimmerte, weil er immer wieder kurz ins Zwielicht eintrat, weil er zwischen den Welten hin und her huschte. Wie hatte mich diese Besonderheit der Vampire einst fasziniert: Gennadi, Kostjas Vater, war über den Hof auf mich zugekommen, Kostjas Mutter Polina hatte dem damals
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