3 - Wächter des Zwielichts
machte ich es mir in der zwischen Bäumen gespannten Hängematte bequem. Wie ein echter Bourgeois - zumindest aus Sicht der Dorfbewohner. Fährt hier in einem Luxusschlitten vor, schleppt seiner Frau Lebensmittel aus der Stadt an, lümmelt sich den lieben langen Tag mit einem Buch in der Hängematte ... Während hier alle durch die Bank den ganzen Tag durch die Gegend stromern, auf der Suche nach einem Schlückchen, mit dem sie ihren Kater bekämpfen können...
»Guten Tag, Anton Sergejewitsch«, begrüßte mich - als habe er meine Gedanken gelesen - der Dorftrinker Kolja über den Zaun hinweg. Wie konnte er sich bloß meinen Namen merken? »Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Hallo, Kolja«, begrüßte ich ihn ganz wie ein Lebemann, indem ich nicht mal den Versuch unternahm, die Hängematte zu verlassen. Er würde das ohnehin nicht zu schätzen wissen. Denn deshalb war er nicht gekommen. »Danke, ich kann nicht klagen.«
»Sie brauchen wohl keine Hilfe, im Haushalt oder ...«, fragte Kolja zaghaft. »Ich komme hier vorbei, denke, frag ich doch mal...«
Ich schloss die Augen. Zwischen meinen Lidern leuchtete blutrot die gerade im Zenit stehende Sonne hindurch.
Nichts konnte ich machen. Nicht das geringste bisschen. Eine Intervention sechsten oder siebten Grades hätte gereicht, um dem armen Kolja seinen Hang zum Alkohol auszutreiben, seine Zirrhose zu heilen und in ihm den Wunsch zu wecken, einer Arbeit nachzugehen, auf Wodka zu verzichten und seine Frau nie wieder zu vermöbeln.
Ich könnte sogar, entgegen dem Großen Vertrag, klammheimlich diese Intervention vornehmen. Eine leichte Bewegung mit der Hand...
Und weiter? Im Dorf gab es keine Arbeit. Auch in der Stadt brauchte niemand den ehemaligen Mechaniker Kolja. Und Geld, um »etwas Eigenes« aufzuziehen, hatte Kolja nicht. Noch nicht mal ein Ferkel konnte er sich kaufen.
Er würde weiter seinem Selbstgebrannten nachjagen, sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten und seinen Ärger an seiner ebenso versoffenen Frau auslassen, die die Nase von allem gestrichen voll hatte. Man muss nicht den einzelnen Menschen kurieren, sondern die ganze Welt.
Oder wenigstens ein Sechstel der Welt. Mit dem stolzen Namen Rus.
»Anton Sergejewitsch, ich habe einfach keine Kraft mehr ...«, beteuerte Kolja nachdrücklich.
Wer brauchte einen ehemaligen Alkoholiker in einem sterbenden Dorf, in dem der Kolchos abgewickelt worden war und dem einzigen Landwirt drei Mal der Hof abgefackelt wurde, bevor er die Anspielung endlich verstand?
»Kolja«, sagte ich. »Was hast du bei der Armee gemacht? Warst du Panzerfahrer?«
Gibt es bei uns eigentlich Söldner? Sollen die doch in den Kaukasus ziehen, statt ein Jahr lang gepanschtem Wodka hinterherzurennen...
»Ich habe nicht gedient«, antwortete Kolja kleinlaut. »Sie haben mich nicht genommen. Damals hat man dringend Mechaniker gebraucht, deshalb wurde ich immer wieder zurückgestellt, dann war ich zu alt... Anton Sergejewitsch, wenn Sie mal jemanden die Fresse polieren müssen - da bin ich wirklich gut! Ganz bestimmt! Ich mach Hackfleisch aus dem!«
»Kolja«, bat ich. »Kannst du dir nicht mal den Motor in meinem Auto angucken? Irgendwas hat da gestern geklackert...« »Klar!« Kolja wurde munter. »Ich...«
»Nimm den Schlüssel.« Ich warf ihm den Bund zu. »Nachher kriegst du eine Flasche von mir.«
Auf Koljas Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. »Soll ich das Auto auch noch für Sie waschen? Das ist doch ein teurer Wagen... und bei unsern Straßen...«
»Vielen Dank«, erwiderte ich. »Da wäre ich dir wirklich sehr dankbar.«
»Aber Wodka will ich nicht«, meinte Kolja plötzlich, und ich zuckte sogar vor Überraschung zusammen. Was bedeutete das? Stand die Welt Kopf? »Der schmeckt nach nichts ... Aber ein Fläschchen Selbstgebrannter...«
»Abgemacht«, stimmte ich zu. Der glückliche Kolja machte die Pforte auf und ging auf den Schuppen zu, in dem ich gestern das Auto abgestellt hatte.
Aus dem Haus kam Swetlana - die ich nicht sah, sondern spürte. Also musste Nadjuschka sich beruhigt haben und in den süßen Nachmittagsschlaf gefallen sein ... Sweta kam auf mich zu, blieb hinter mir stehen, zögerte kurz und legte mir dann ihre kühle Hand auf die Stirn. »Geht es dir nicht gut?«, fragte sie.
»Hm«, brummte ich. »Ich kann hier nichts machen, Swetka. Nichts. Wie hältst du das aus?«
»Ich bin schon als kleines Mädchen in dieses Dorf gekommen«, antwortete Swetlana. »Ich erinnere mich
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