Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
gehen die Büsche sehr weit vom Fluß in die Steppe hinein; sie verlegen uns die Aussicht. Aber siehst du die weit vorragende grüne Ecke da draußen? Wenn wir die erreicht haben, werden wir eine bessere und freiere Fernsicht haben. Dann nehme ich mein Fernrohr zur Hand, und wenn ich das habe, soll es ihnen schwer werden, uns zu überraschen.“
    „Ich habe eine Frage, Sihdi. Erlaubst du mir, sie auszusprechen?“
    „Gewiß. Welche ist es?“
    „Um die Perser brauchen wir uns nicht zu bekümmern; die haben uns schnöde abgewiesen. Aber die armen gefangenen Mädchen tun mir leid.“
    „Mir auch.“
    „Denke, wenn Hanneh, mein Weib, die schönste unter den lieblichsten Blumen der Erde, mir geraubt worden wäre, wie unendlich groß würde ihr Jammer sein! Ich würde von einem Ende der Welt zum andern suchen, um sie zu befreien.“
    „So willst du hier wohl auch den Retter spielen?“
    „Ja.“
    „Hm! Was einen nichts angeht, davon soll man lassen, lieber Halef!“
    „So willst du dich dieser unglücklichen Geschöpfe nicht erbarmen?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    „Erstens, weil sie mich nichts angehen – und doch nur Töchter schiitischer Väter und Mütter sind, und zweitens, weil die Sache viel zu gefährlich für uns sein würde. Du kannst dir doch denken, daß dieser Kys-Kaptschiji ein höchst verwegener Mensch ist und jedenfalls Leute bei sich hat, die sich vor dem Teufel nicht fürchten.“
    Da hielt er sein Pferd an und fragte in aufwallendem Zorn:
    „So sagst du und willst ein Christ sein? Pfui, Sihdi, seit wann hat Hadschi Kara Ben Nemsi vor irgend einer Person Furcht oder Angst zu empfinden? Ist dir dein Herz plötzlich so tief in die Bantaluhn (Pantalons, Hose) gefallen, daß es dir unmöglich ist, einige …“
    Er sah mein Lächeln und hielt mitten in seiner Strafpredigt inne. Dann schlug er mit der Hand an die Stirn und fuhr fröhlich fort:
    „Allah '1 Allah! Was bin ich doch für ein dummer Mensch! Werde ich meinen Sihdi nicht kennen! Der tut ja nur, als ob er nicht wollte, heimlich aber brennt er darauf, den geraubten Mädchen Hilfe zu bringen! Töchter von schiitischen Eltern! Danach fragst du doch nicht! Fragt ein Christ nach der Religion eines Menschen, dem er Gutes zu erweisen hat? Weil sie dich nichts angehen! Unsinn! Dein Herz schlägt für alle Menschen, die deiner Dienste bedürfen, und niemals hast du gefragt, ob ein Hilfesuchender deiner Unterstützung auch würdig sei. Gefährlich! Als ob es eine Gefahr gäbe, der wir beide nicht gewachsen wären! Der Kys-Kaptschiji ist ein verwegener Mensch! Haben wir nicht noch ganz andere Dinge ausgeführt, als so ein paar Mädchen ihren Vätern und Müttern wiederzugeben? Und Leute bei ihm, die sich vor dem Teufel nicht fürchten! Fürchten wir uns denn vor ihm? Haben wir jemals die Feinde gezählt, mit denen wir es zu tun hatten? Ist nicht sehr oft ein wenig List und Verschlagenheit besser und erfolgreicher als hundert bewaffnete Hände und als die Tapferkeit von tausend Kriegern, die kein Hirn im Kopf haben? Geh, Sihdi, du hast dich verstellt! Nicht wahr, dein gutes Herz hat auch Mitleid mit den Töchtern, die ihren Eltern so gewaltsam entrissen worden sind?“
    „Ja.“
    „Und du bist gern bereit, ihnen zu helfen?“
    „Wenn es möglich ist, ja.“
    „Es muß möglich sein! Und wenn es nicht möglich sein sollte, so wird es möglich gemacht! Man sollte dir und mir nicht nachsagen, daß wir jemand in der Not stecken gelassen haben, ohne wenigstens zu versuchen, ihm Hilfe zu bringen.“
    „Aber wer sich unnötigerweise in Gefahr begibt, der kommt sehr leicht darin um, lieber Halef!“
    „Sprich nicht so, Sihdi; ich kann es nicht anhören! Ist es unnötig, diese Mädchen zu befreien? Nein! Und sind wir jemals in einer Gefahr umgekommen? Nein! Ich möchte überhaupt die Gefahr sehen, die das Geschick hätte, uns umzubringen! Wenn sie nur wagte, das zu versuchen, würde ich ihr den Hals umdrehen! Wir sind durchs Feuer gelaufen und nicht verbrannt; wir sind ins Wasser geraten und glücklich hindurchgeschwommen; wir sind dem Löwen und gar dem schwarzen Panther begegnet und haben beide erlegt; wir sind gefangen gewesen und glücklich wieder ausgerissen; wir haben – schuf – sieh!“ unterbrach er sich, indem er nach vorn deutete. „Dort kommen Reiter. Wer mag das sein?“
    „Die Leute des Kys-Kaptschiji“, antwortete ich.
    „Meinst du?“
    „Ja, du siehst, daß es so ist, wie ich sagte; sie erwarten uns nicht in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher