30 - Auf fremden Pfaden
vorüberpassiert waren. Wir ritten weiter und erreichten die Enge, hinter welcher wir abstiegen.
„Da willst du dich den Verfolgern entgegenstellen?“ fragte Halef.
„Ja. Vielleicht kommt ihr Anführer in unsere Hände. Jedenfalls aber kann keiner von ihnen durch, ohne daß ihn unsere Kugel trifft.“
„O, Sihdi, ich habe auch zuweilen einen Gedanken. Wir brauchen keinen Kurden zu erschießen. Wir töten nur das Pferd des ersten, welcher kommt; dann haben wir gewonnen.“
„Wieso?“
„Laß mich nur machen, mein lieber Sihdi! Ich will auch einmal etwas tun, worauf – halt, schau“, unterbrach er sich, indem er durch die Enge in das Tal hinein deutete. „Dort kommt ein Reiter galoppiert und hinter ihm ein zweiter, ein Kurde.“
„Der erste ist, ah, das ist ja Schir Saffi!“ rief ich aus. „Er wird von den Kurden verfolgt. Paß auf! Der Kurde muß unser werden.“
Die beiden kamen im Carrière herbeigesprengt. Wir traten hinter der Enge vor. Ich legte den Bärentöter an, weil die große Kugel desselben schneller wirkte. Schir Saffi schoß mit vor Angst verzerrten Zügen an uns vorüber; nur zwanzig Sätze war der Kurde von uns entfernt; ich schoß auf sein Pferd; es tat noch drei, vier Sprünge und brach dann zusammen, wobei der Reiter aus dem Sattel geschleudert wurde. Wir warfen uns auf ihn. Er war wie betäubt und wehrte sich nicht dagegen, als wir ihn entwaffneten. Bald aber raffte er sich zusammen und machte einen Versuch, sich loszureißen.
„Bleib stehen, sonst schieße ich dich nieder“, drohte ich, den Revolver auf ihn richtend.
„Ja, du bist des Todes“, stimmte Halef bei. „Dieser Emir ist der berühmte Kara Ben Nemsi Effendi, und ich bin Hadschi Halef Omar, sein – – –“
„Kara Ben Nemsi Effendi?“ schrie der Kurde, ihn unterbrechend und mich angstvoll anstarrend.
„So ist es“, nickte Halef. „Wir sind mit den Schiiten und mit den Christen des alten Salib verbunden und haben euch in eine herrliche Falle gelockt, ihr Dummköpfe.“
„Falle?“ stammelte der Kurde.
„Natürlich! Der alte Salib versteckte sich mit seinen Leuten im Wald, und die Schiiten taten, als ob sie euch überfallen wollten; sie flohen, und ihr verfolgtet sie; kein Krieger blieb zurück. Als ihr dann fort wart, ist Salib mit seinen Leuten in euer Lager gedrungen und hat –“
Er kam nicht weiter, denn –
„O Himmel, o Himmel!“ schrie der Kurde auf, riß sich los und rannte fort, zurück, ohne in seinem Schrecken daran zu denken, daß wir ihn erschießen konnten.
„O Himmel, o Himmel, da rennt er hin!“ lachte Halef. „War dieser Gedanke von mir nicht gut, Sihdi? Er wird jetzt die Kurden benachrichtigen, daß Salib das Lager überfallen hat, und da kehren sie sofort wieder um.“
„Vortrefflich, ganz vortrefflich, Halef!“ rief ich aus. „Schau, – da sieh!“
Drei Kurden kamen ins Tal gesprengt; sie sahen den Fliehenden und hielten an. Als er sie erreichte, deutete er nach uns zurück und sprach mit ihnen. Darauf kehrten sie um und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
„Siehst du, daß es wirkt?“ fragte Halef, indem sein ganzes Gesicht vor Wonne erglänzte. „Reiten wir vorwärts, um uns weiter zu überzeugen!“
Wir stiegen auf und ritten den Verfolgern entgegen; es kam keiner mehr. Nach einer Viertelstunde erreichten wir eine Höhe, von welcher wir eine weite Fernsicht hatten. Da sahen wir die sämtlichen Kurden auf einem freien, ebenen Plan; sie galoppierten heimwärts. Wir hatten sie nicht mehr zu fürchten.
Halef jubelte über das Gelingen seiner List; ich gönnte dem braven Kerlchen diese Freude von ganzem Herzen; er hatte sie verdient. Nun kehrten wir wieder um und ritten nach dem Tal der Schiiten. Die Hütten standen leer; es war kein Stück Vieh zu sehen, dafür aber Schir Saffi mit zehn oder zwölf seiner Krieger. Als er uns bemerkte, kam er auf uns zugeeilt und rief:
„Herr, die Bewohner meines Dorfes sind verschwunden. Du bist hier zurückgeblieben und mußt wissen, wo sie sind!“
„Ja. Wo sind denn aber deine Krieger?“
„Sie werden noch kommen. Die Akra-Kurden verfolgten uns; darum befahl ich meinen Leuten, sich zu zerstreuen, da entkamen sie leichter.“
„Du aber wärest beinahe nicht entkommen!“
Er senkte den Blick zu Boden und gestand:
„Ja, ich habe dir mein Leben zu verdanken, Herr.“
„Das konntest du dir selbst verdanken. Warum wehrtest du dich nicht gegen den Verfolger? Es war ja nur ein einzelner. Und da hast
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