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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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menschenwürdiger, als die ersten gewesen waren. Nachher eine Kirche, ein wirkliches, kleines Gotteshäuschen, für welches ich auf eine mit feinem Sand polierte Steinplatte, so gut ich es eben vermochte, eine heilige Madonna in schwarz, weiß und rot malte; andere Farben konnte man hier nicht bereiten. Darunter setzte ich den englischen Gruß in arabischer, persischer und kurdischer Sprache. Ich konnte auf dieses Bild nichts weniger als stolz sein, bin aber vollständig überzeugt, daß es von jenen einfachen Leuten noch heute als großes Kunstwerk angestaunt wird. Jedenfalls erfüllt es seinen frommen Zweck dort wenigstens ebenso wie ein Murillo oder Raphaël in einer unserer wenig frommen Galerien.
    Während dieser Arbeiten arbeitete ich auch an Schir Saffi; daß auch der Islam Christentum anerkennt, ihn sogar das Weltgericht halten läßt über die Lebendigen und die Toten, ihn Isa Ben Marryam Omm Isa heißt, dies alles erklärte ich ihm. Mehr konnte ich bei seinem verknöcherten Schiitismus nicht tun; aber was ich sagte, haftete doch einigermaßen.
    Als dann das Kirchlein fertig war und das Glöcklein zum erstenmal vom kleinen Turm erklang, feierten wir abermals ein Freudenfest, welches selbst auf die Moslemin einen tiefen Eindruck machte, denn als wir endlich schieden, von den Segenswünschen aller Talbewohner begleitet, und ich beim Abschiede Schir Saffi leise fragte: „Nun, Fatima oder Marryam?“, da drückte er mir die Hand und antwortete:
    „O, Emir, du hattest recht. Deine Gottesmutter ist mächtiger als unsere Prophetentochter. Also: nicht Fatima sondern Marryam!“ – – –

Gott läßt sich nicht spotten
    Indem ich mich anschicke, die folgende Begebenheit zu erzählen, muß ich an ein Ereignis aus meiner Kindheit denken, welches mir noch heute so klar und deutlich im Gedächtnisse lebt, als ob ich es erst gestern erlebt hätte.
    Wir standen, fünf oder sechs kleine Knaben, auf dem Marktplatz meiner Vaterstadt und sahen einem Fuhrmann zu, dessen Pferde den schweren Wagen nicht fortzubringen vermochten. Er hieb lange Zeit vergeblich auf sie ein und ließ sich endlich von seinem Zorn zu einem Fluch hinreißen, den er mit so kräftigen Hieben begleitete, daß die Pferde die Last nun wirklich über das Hindernis hinwegzerrten. „Ja, wenn nichts mehr helfen will, dann hilft ein ‚heiliges Donnerwetter‘“, lachte er und fuhr weiter. Die Umstehenden lachten mit, und wir Knaben fühlten uns von dem Fluch so imponiert, daß wir ihn sofort auf das eifrigste bei unserem Spiel anwandten. Es wurde einige Zeit mit wahrer Wonne ‚gedonnerwettert‘, bis mein Vater es hörte und mir zum Fenster heraus jenen bekannten Wink gab, welcher die Eigentümlichkeit hatte, mich stets und augenblicklich in eine höchst wehmütige Stimmung zu versetzen. So auch dieses Mal, und zwar nicht ohne Grund, denn ich hatte die Anwendung des Kraftwortes dadurch zu büßen, daß ich kein Mittagessen bekam und mit sehr niedergedrückten Gefühlen zusehen mußte, wie gut der dicke Milchreis meinen Geschwistern schmeckte. Dieser sehr unfreiwillige Verzicht tat mir so weh, daß ich den festen Entschluß faßte, nie wieder ‚Donnerwetter‘ zu sagen. Dieses löbliche Vorhaben wurde dadurch noch mehr befestigt, daß mich nach Tisch meine ehrwürdige, damals achtzig Jahre alte Großmama beiseite nahm und mir mit einem derben Waschlappen den Mund so kräftig abwusch, daß mir das helle Wasser aus den Augen lief.
    „Pfui, pfui!“ sagte sie dabei. „Wer flucht, der beschmutzt seinen Mund, und das muß tüchtig abgerumpelt werden. Merke dir das, und tue es ja nicht wieder, wenn ich dich lieb behalten soll!“
    Wenn ich offen sein will, so muß ich gestehen, daß dieses ‚Abrumpeln‘ einen noch tieferen Eindruck auf mich machte, als die Kostentziehung, denn was Großmama sagte, das war mir heiliger als jedes andere Wort. Ich zog mich also in einen stillen Winkel zurück, um die Reinigung der Lippen auf eigene Hand weiter fortzusetzen, und dabei fiel mir ein, daß ich doch nicht der einzige gewesen war, der geflucht hatte. Infolgedessen setzte ich mich in den heimlichen Besitz des besagten Waschlappens und schlich mich fort, um die Mitschuldigen alle zusammenzuholen. Als mir dies gelungen war, erklärte ich ihnen, welchem Schicksal sie sich unter den obwaltenden Umständen zu unterwerfen hätten, und führte sie zu dem großen Wassertrog, der an der oberen Seite des Marktes stand. Dort gaben wir uns dann dem ‚Abrumpeln‘ mit einem

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