30 - Auf fremden Pfaden
die Bewegung und auch die Sprache wieder, ich sprang auf und schrie:
„Kommt, kommt! Halef ist wahrscheinlich ermordet worden!“
Ich wollte fort, wankte aber und stürzte wieder nieder, raffte mich abermals auf und brach noch einmal zusammen.
„Halef ermordet? Wo denn, wo?“ riefen die Haddedihn.
„Bei den Pferden. Lauft hin, lauft hin!“
„Ja, lauft hin, rennt hin!“ stimmte mir Omar bei. „Ich muß hier bei meinem Sihdi bleiben; er kann nicht auf, er kann nicht fort.“
„Ich kann, denn ich muß!“ entgegnete ich, während sie fortrannten.
„So versuche es, mein lieber, lieber Effendi! Ich werde dich stützen.“
Er hob mich auf, und mit seiner Hilfe konnte ich gehen, langsam zwar, aber doch. Je weiter wir kamen, desto freier wurde mir der Kopf, und desto williger gehorchten mir die Beine. Als wir dorthin kamen, wo ich Halef zurückgelassen und zuletzt mit dem Scheik gesehen hatte, lag er ohne Besinnung und mit blutendem Kopf auf der Erde. Die Pferde waren fort, alle fort. Das brachte meine körperliche und geistige Spannkraft wieder. Ich machte mich von Omar los, der mich nun nicht mehr zu halten brauchte, und befahl einem Haddedihn:
„Lauf eiligst nach dem Nordende der Trümmerstadt, ob du von dort aus die Muntefik mit ihren Pferden noch erblicken kannst!“
Er gehorchte dieser Aufforderung, und ich kniete neben Halef nieder, um ihn zu untersuchen. Er war nicht tot, sondern nur betäubt, und die ihm mit dem Stein beigebrachte Wunde, welche blutete, schien auch nicht gefährlich zu sein. Wir konnten unbesorgt um ihn auf sein Erwachen warten. Nun erst bemerkte ich, daß wir nicht vollzählig waren.
„Wo ist denn Mesud?“ fragte ich. „Ich sehe ihn doch nicht.“
„Oh, Sihdi, wie recht hattest du, als du mir winktest und ihm leise sagtest, vorsichtig zu sein!“ antwortete Omar. „Mesud, der Bruder meines Weibes ist tot, erstochen und ausgeraubt worden von den Hunden vom verfluchten Stamm dieser Muntefik.“
„Herrgott! Ist's wahr?“
„Ja. Wir fanden seine Leiche.“
„Ich dachte es mir, als ich euch schreien hörte. So hat er meine Warnung also doch nicht beachtet!“
„Leider nicht! Während wir auf den Knien lagen, um diesen Ibn Risaa zu verehren, den Allah besser nicht erschaffen hätte, lockte der Häuptling ihn, ohne daß wir es bemerkten, unter irgend einem Vorwand fort. Da hörten wir ihn um Hilfe rufen und eilten ihm nach, mußten aber suchen, ehe wir ihn in einer Blutlache fanden. Er war gerade in das Herz gestochen worden. Das Geld ist fort. Wir erhoben ein großes Geschrei und wollten zu den Pferden, zu dir. Das hat die Mörder von dir verscheucht und dir das Leben gerettet. Aber sie sind entkommen.“
„Für jetzt, doch nicht für immer; darauf kannst du dich verlassen. Wir werden den Schatt el Arab nicht eher verlassen, als bis wir mit diesem Scheik Abd el Kahir abgerechnet haben. Wo liegt Mesud Ben Hadschi Schukar? Führt mich zu ihm!“
Einige blieben bei Halef; die andern gingen mit mir fort. Wir kamen an der Stelle vorüber, wo sie mich besinnungslos gefunden hatten. Hier fielen mir meine Gewehre ein, die ich bei mir gehabt hatte. Welch ein Schreck! Sie lagen nicht da; sie waren verschwunden; die Muntefik hatten mit Entzücken Besitz von den berühmten ‚Zauberflinten‘ ergriffen. Das war ein Verlust, daß ich, anstatt darüber zu klagen, ihn schweigend hinnahm; aber dieses Schweigen war ein Schweigen grimmiger Entschlossenheit, mir die Gewehre wiederzuholen. Sonst hatten die Muntefik mir nichts abgenommen, weil sie von den herbeistürmenden Haddedihn vertrieben worden waren.
Dann kamen wir dorthin, wo Mesud lag. Wie schnell hatte er seine Vertrauensseligkeit, sein zu großes Selbstbewußtsein büßen müssen. Ja, er war tot, gerade und genau ins Herz getroffen. Den Inhalt aller seiner Taschen hatten die Muntefik mitgenommen. Omar Ben Sadek sah finsteren Blicks auf die Leiche nieder, tauchte die Finger der rechten Hand in das Blut, hob diese Hand dann empor und sagte:
„Effendi, ich weiß, daß du milder denkst als wir. Ich habe schon einmal einen Racheschwur getan, damals auf dem Schott, unter dessen Salzdecke mein Vater verschwunden war (siehe ‚Durch die Wüste‘), und später mich nicht durch den Tod des Mörders gerächt, sondern ihn nur geblendet; diesmal aber werde ich keine Gnade walten lassen, sondern meine Hand ebenso in Abd el Kahirs Blut tauchen, wie ich sie jetzt in dasjenige des Ermordeten getaucht habe. Willst du mir dazu
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