300 - Unter Mutanten
Einsicht vorgespielt und sich davongeschlichen. Sie hatte Lissas Vertrauen missbraucht, obwohl ihr doch merkwürdigerweise viel daran lag, dass die Techno eine gute Meinung von ihr bekam. Sie hatte einen alten Mann überrumpelt und ihn niedergeschlagen. Und sie hatte ihre eigenen Bedürfnisse über die der Technos gestellt.
Aber ihr war keine andere Wahl geblieben. Sie hatte sich wie dreimal durchgekaut, wieder hochgewürgt und ausgekotzt gefühlt, doch dann hatte sie der Anblick ihres Oheims auf dem Monitor aufgepeitscht. Sie hatte ihn sofort erkannt, auch wenn er in den letzten Jahren extrem zugenommen hatte.
Das Adrenalin, das durch ihre Adern pumpte, gab ihr neue Kraft, und sie wusste, wenn sie ihn für den Mord an ihrem Vater bestrafen wollte, musste sie es jetzt tun.
Das Schott hatte sie in einen überwucherten Hinterhof entlassen. Ein zehn mal zehn Meter großes Stück Dschungel, auf allen vier Seiten umgeben von Häuserruinen. Ein skurriler Anblick. Dornensträucher zupften an den Taschen von Xijs Hose, kleine spitzige Äste kratzten über ihre Haut.
Immerhin bin ich nicht inmitten eines Wulfanen-Bazars rausgekommen!
Sie kämpfte sich auf eine der Ruinen zu, bis sie auf eine Wand aus Backsteinen stieß. Ein faustgroßes Fellknäuel flitzte ihr über den Fuß. Sie versuchte sich einzureden, dass es eine Maus gewesen war. Aber sie hatte mindestens acht Beine gesehen!
Egal. Weiter!
Xij tastete sich an der Mauer entlang, bis sie unter einem Fenster anlangte. Sie sprang in die Höhe und versuchte das Sims zu erreichen, doch sie glitt immer wieder ab. Das Fenster lag zu hoch.
Zwei schnelle Schritte und sie stand unter einem Baum mit glatter, gelblicher Rinde. Seine Äste reichten bis in Bodennähe, sodass sie daran hochklettern konnte. Der Aufstieg bereitete ihr mehr Schwierigkeiten, als sie gedacht hatte. Außer Atem erreichte sie einen Ast, der dick genug war, sich darauf auszuruhen.
Als ihr Herz sich beruhigt hatte, spürte sie den Brechreiz zurückkehren. Schnell holte sie aus einer ihrer Hosentaschen ein Metalldöschen, in dem sie ihre ayveedische Heilpaste aufbewahrte.
Mit Zeige- und Mittefinger holte sei ein wenig der bräunlichen Schmiere hervor und strich sie sich auf die Zunge. Ein widerlicher Gestank vergewaltigte ihre Geruchsnerven. Er wurde nur noch übertroffen von dem Geschmack. Dennoch spürte sie beinahe sofort, wie sich ihr Magen beruhigte.
Sie stemmte sich auf dem Ast hoch und sah hinüber zum Haus. Das Fenster war etwa einen Meter unter ihr. Der Raum dahinter lag in tiefer Finsternis. Sollte sie es wagen?
Nicht lange grübeln. Einfach machen!
Sie balancierte auf dem Ast nach vorne, dann warf sie ihren Kampfstock durch die Öffnung. Ein Scheppern erklang. Gut! Das zeigte wenigstens, dass sich hinter der Mauer ein Fußboden befand und sie nicht ins Leere springen würde.
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieß Xij sich ab. Obwohl sie sich abrollte, spürte sie den Aufprall in jedem Knochen. Sie tastete umher und fand den Stab.
Keinen Augenblick zu spät!
Schritte näherten sich. Es klang, als eilten sie eine Treppe hinauf, aber sie konnte noch immer nichts sehen. Die Vegetation im Hinterhof wuchs so dicht an die Wände heran, dass kaum Tageslicht durchs Fenster fiel. Außerdem hatten sich ihre Augen noch nicht an die Lichtverhältnisse gewöhnt.
Nicht gut! Denn wer auch immer da gerade auf sie zukam, vermochte sich bestimmt besser zu orientieren.
»Wer bist du?«, erklang hinter ihr eine Stimme. »Warum haltet ihr Barbaren euch nicht in euren eigenen Quartieren auf?«
Auf den Fersen zirkelte sie herum. Der Kampfstock zischte durch die Luft und stieß gegen ein Hindernis. Der Sprecher gab ein überraschtes Ächzen von sich, dann folgte ein Poltern.
Ruhe kehrte ein.
Endlich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit im Haus. Vor ihr lag eine Gestalt in weiter Kutte. Xij hatte sie eher zufällig auf den Punkt getroffen und ausgeschaltet.
Xij bückte sich und untersuchte den Mann. Ein Nosfera!
Sie sprang auf, lief zur Tür und spähte hinaus. Eine verfallene steinerne Treppe führte nach unten. Auf ihrer Etage lagen nur zwei weitere Räume. Sie lauschte. War der Blutsäufer allein in diesem Haus gewesen? Als sie nichts hörte, kehrte sie zu dem Ohnmächtigen zurück und zog ihm die Kutte aus.
Sie fischte ein paar Kabelbinder aus einer ihrer zahlreichen Hosentaschen. Dann zerrte sie den Nosfera unter das Fenster, wo sie einen alten Heizkörper entdeckt hatte. Sie
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