306 - Ein Hort des Wissens
aus der Burg kommt mir vorläufig keiner.«
Die Fahne wurde in den Turm zurückgezogen, das Gesicht hinter dem Fenster verschwand. Am gleichen Abend schloss der Garnisonshauptmann der Burg das Portal auf. Nacheinander traten sie ins Freie, mehr als zwei Dutzend bleiche, halb verhungerte Gestalten. Sie warfen die Waffen auf das Hofpflaster.
Varmer ließ zwei Wisaauen schlachten und sorgte dafür, dass die Halbtoten sich satt essen konnten. Danach befahl er, die Männer einzukerkern. Ihre Frauen übergab er seinen Exekutoren. »Mir egal, was ihr mit ihnen anstellt, nur will ich keine Verletzten sehen, und schon gar keine Leichen.«
»Ihr habt versprochen, niemandem ein Haar zu krümmen«, sagte eine junge Frau mit einem Säugling im Arm.
»So, habe ich das?« Varmer ging zu ihr. »Wie heißt du?«
»Lady Myrial. Ich bin die Frau des Burgherrn.«
»Das Weib des Albinos also, aha.« Er umkreiste die Frau und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Sie gefiel ihm gut. »Und wie heißt dein Balg?« Er schob das Mützchen des Kindes ein wenig nach oben, um zu sehen, ob es rote Augen hatte. Hatte es.
»Leonard Pellam«, antwortete Myrial. Sie hätte gern verhindert, dass ihre Stimme zitterte, vermochte es aber nicht.
»Komischer Name, was?«, sagte Hoss, der nahe bei Varmer stand.
»Ja, Kleiner. Komischer Name.« Varmer baute sich vor Myrial auf und äugte auf sie hinab. »Ich habe niemals versprochen, dass niemandem ein Haar gekrümmt wird, schöne Lady. Habe ich recht, Hoss?«
»Wie immer hast du auch diesmal recht, Jesus. Du hast lediglich versprochen, dass du niemandem ein Haar krümmen wirst.«
»So ist es.« Varmer fasste Myrial unter das Kinn und zog sie zu sich. »Doch das Versprechen vergesse ich soeben, denn die Schlampe, die bisher versuchte, mir die Nächte zu versüßen, hängt mir zum Hals heraus. Ab sofort, wirst du mir Gesellschaft leisten, schöne Lady.«
Tränen stürzten Myrial aus den Augen, sie wollte zurückweichen, doch Varmer hielt sie am Kinn fest. Mit seiner großen Pranke drückte er ihr die Wangen zusammen. »Du freust dich doch hoffentlich? Gib es ruhig zu.«
Myrial trat ihm gegen das Schienbein, er lachte nur. Myrial spuckte ihn an, er holte aus und schlug ihr ins Gesicht. Sie taumelte, hatte Mühe, den Kleinen vor der Brust festzuhalten und stürzte rücklings auf das Pflaster. Sofort waren zwei Exekutoren bei ihr und packten sie.
»In mein Schlafzimmer mit ihr!«, knurrte Varmer.
»Hör mal, Jesus.« Hoss fasste ihn am Arm, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte in sein Ohr. »Ich weiß zufällig, dass Meister Chan es sich nicht ganz und gar mit dem Albino verderben will. Hätte er die Hoffnung auf ein Bündnis mit ihm aufgegeben, müssten wir ihn ja nicht lebend in die Katakombe bringen, oder?«
»Er braucht es ja nicht zu erfahren«, brummte Varmer halbherzig.
»Ich hätte gern einen Chefexekutor, zu dem ich aufblicken kann, Großer, und zu dem ich hin und wieder ›Jesus‹ sagen kann.« Hoss zischelte beschwörend in das große, haarige Ohr. »Wenn du aber das Weib des Albinos vögelst, wird ein anderer Chefexekutor werden, so wahr mir Gott helfe! Amen.«
In Varmers bärtiger Visage arbeitete es. Schließlich spuckte er aus und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sperrt sie weg! Ich will sie nicht mehr sehen!«
»Bist ein ganz ein Kluger, Großer.« Hoss tätschelte den Arm seines Chefs. »Ich bin stolz auf dich.« Varmer sagte gar nichts, starrte nur seinen Männern und dem schönen Weib hinterher, und hoffte, dieser Rulfan würde nie mehr nach Canduly Castle zurückkehren würde.
Einen starken Monat später dröhnte Motorengeräusch zwischen den Waldhügeln. Varmer und Hoss kletterten auf den Wehrgang und spähten zwischen den Zinnen hindurch in den Wald. Der erste Herbststurm schüttelte die Wipfel durch. Die dreirädrige Maschine raste den Fahrweg entlang, fegte auf die Brücke und stoppte kurz vor dem Burggraben.
Varmers Herz machte einen Sprung. »Habt ihr das verdammte Luftschiff gesichtet?«
»Nein, aber eine Fregatte!« Der Mann unten auf der Maschine fummelte sich den Helm vom Schädel.
»Hohlkopf!« Die Enttäuschung tat Varmer körperlich weh. »Was interessieren mich Fregatten! Auf ein Luftschiff sollt ihr achten, habe ich gesagt!«
»Schon, aber es ist die Eibrex IV!«
»Die Fregatte, die uns die verdammten Technos vor zwei Jahren geklaut haben?«, fragte Hoss erstaunt. Der Mann auf der Maschine nickte eifrig.
Der Adjutant sah zu seinem Chef
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