Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
Vom Netzwerk:
um jegliche Fluchtgedanken in mir zu ersticken: »Wenn du schreist, dann muss ich dir etwas antun. Alle Ausgänge und Fenster sind mit Sprengfallen gesichert. Wenn du ein Fenster öffnest, jagst du dich selbst in die Luft.« Er schärfte mir ein, von den Fenstern wegzubleiben und darauf zu achten, dass ich draußen nicht zu sehen war. Wenn ich seine Anweisungen nicht bis ins Detail befolgte, würde er mich auf der Stelle töten. Ich zweifelte nicht im Geringsten daran. Er hatte mich entführt und eingesperrt. Warum sollte er nicht auch imstande sein, mich umzubringen?
    Als er schließlich eines Abends die Tür zu meinem Verlies öffnete und mich aufforderte, ihm zu folgen, setzte ich die ersten Schritte nur zögerlich. Im diffusen Licht hinter der Tür zu meinem Gefängnis erkannte ich einen kleinen, etwas höher liegenden und schräg geschnittenen Vorraum mit einer Truhe. Dahinter eine schwere Holztür, über die man in einen zweiten Vorraum kam. Dort fiel mein Blick auf ein wuchtiges, bauchiges Ungetüm an der linken schmalen Wandseite. Eine Tür aus Stahlbeton. 150 Kilo schwer. Eingelassen in eine fast 50 Zentimeter dicke Mauer, von außen zu verriegeln mit einer Eisengewindestange, die ins Mauerwerk eingelassen war.
    So steht es in den Polizeiakten. Welche Gefühle beim Anblick dieser Tür in mir hochkamen, kann ich kaum in Worte fassen. Ich war einbetoniert. Hermetisch abgeriegelt. Der Täter warnte mich immer wieder vor den Sprengfallen, den Alarmanlagen, den Kabeln, mit denen er den Eingang zu meinem Verlies unter Strom setzen könne. Ein Hochsicherheitstrakt für ein Kind. Was würde aus mir werden, wenn ihm etwas passierte? Meine Angst vor einer verschluckten Wursthaut kam mir geradezu lächerlich vor, wenn ich mir vorstellte, er würde stürzen, sich den Arm brechen und ins Krankenhaus kommen. Lebendig begraben. Aus.
    Ich bekam keine Luft mehr. Ich musste raus hier. Sofort.
    Die Stahlbetontür gab den Blick frei auf einen kleinen Durchlass. Höhe: 68,5 Zentimeter. Breite: 48,5 Zentimeter. Wenn ich stand, befand sich die untere Kante des Zugangs etwa in Kniehöhe. Der Täter wartete bereits auf der anderen Seite, ich sah, wie sich seine Beine vor einem hellen Hintergrund abzeichneten. Dann ging ich auf die Knie und kroch auf allen vieren vorwärts. Die schwarzen Wände schienen geteert, die Luft war muffig und feucht. Als ich mich aus dem Durchlass herauswand, stand ich in einer Montagegrube für Autos. Direkt neben dem Durchlass befanden sich ein ausgebauter Tresor und eine Kommode.
    Der Täter forderte mich erneut auf, ihm zu folgen. Ein schmaler Treppenaufgang, die Wände aus grauen Betonfliesen, die Stufen hoch und rutschig. Drei hinunter, neun hinauf, durch eine Falltür, dann stand ich in einer Garage.
    Ich war wie gelähmt. Zwei Holztüren. Die schwere Betontür. Der schmale Durchlass. Davor ein massiver Tresor, den der Täter, wenn ich im Verlies war, mit Hilfe einer Eisenstange vor den Eingang schob, dort in der Wand verschraubte und zusätzlich elektrisch absicherte. Die Kommode, die Tresor und Durchlass verbarg. Die Bodenbretter, die die Falltür hinunter zur Montagegrube bedeckten.
    Ich hatte schon vorher gewusst, dass ich die Tür zu meinem Gefängnis nicht aufbrechen konnte, dass jeder Fluchtversuch aus dem Verlies sinnlos war. Ich hatte auch geahnt, dass ich noch so lange gegen die Wände trommeln und schreien konnte und niemand mich hören würde. Doch in diesem Augenblick oben in der Garage wurde mir schlagartig klar, dass mich auch nie jemand finden würde. Der Eingang zum Verlies war so perfekt getarnt, dass die Chancen der Polizei, mich bei einer Hausdurchsuchung zu entdecken, erschreckend gering waren.
    Der Schock wich erst, als ein noch stärkerer Eindruck das Gefühl der Angst überlagerte: Luft, die in meine Lungen strömte. Ich atmete tiefein, wieder und wieder, wie eine Verdurstende, die die rettende Oase in letzter Sekunde erreicht und sich kopfüber ins lebensrettende Nass stürzt. Nach Monaten im Keller hatte ich völlig vergessen, wie gut es sich anfühlte, Luft zu atmen, die nicht trocken und staubig war und durch ein Gerät in mein winziges Kellerloch geblasen wurde. Das Klappern des Ventilators, das sich als Dauergeräusch in meinen Ohren eingerichtet hatte, wurde für einen Moment schwächer, meine Augen tasteten vorsichtig die fremden Konturen ab, und meine erste Anspannung löste sich.
    Sie war unvermittelt wieder da, als der Täter mir mit einer Geste bedeutete, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher