3096 Tage
wuchtete, in der Wand verschraubte und die Kommode davorschob. Ich wünschte, ich hätte nicht gesehen, wie hermetisch ich von der Außenwelt abgeriegelt war. Ich legte mich auf meine Liege, rollte mich zusammen und versuchte, das Gefühl von Badeseife und warmem Wasser auf meiner Haut zurückzuholen. Das Gefühl, zu Hause zu sein.
* * *
Wenig später, im Herbst 1998, zeigte sich der Täter erneut von seiner fürsorglichen Seite. Vielleicht hatte er auch nur ein schlechtes Gewissen, jedenfalls sollte mein Verlies etwas wohnlicher gestaltet werden.
Die Arbeiten gingen nur langsam voran; jedes Brett, jeder Farbeimer musste einzeln den langen Weg hinuntergeschleppt werden, Regale und Schränkchen konnten erst im Verlies zusammengebaut werden.
Ich durfte mir eine Wandfarbe wünschen und entschied mich für eine Raufasertapete, die ich in einem zarten Rosa gestrichen haben wollte. Genau wie die Wand in meinem Kinderzimmer zu Hause. Die Farbe hieß »Elba glänzend«. Er verwendete denselben Farbton später für sein Wohnzimmer: Es durften ja keine Kübel mit Farbresten im Haus sein, die sich nirgends an einer Wand oben wiederfanden, erklärte er mir, immer vorbereitet auf eine Razzia der Polizei, immer bemüht, keinerlei Verdachtsmomente entstehen zu lassen. Als ob sich die Polizei damals noch für mich interessiert hätte; als ob sie solche Dinge überprüft hätte, wo sie doch trotz zweier Hinweise nicht einmal das Entführungsauto untersucht hatte.
Mit den Rigipsplatten, die er auf die Holzverschalung montierte, verschwanden Stück für Stück die Erinnerungen an meine erste Zeit im Verlies. Die aufgemalte Vorzimmerkommode, der Stammbaum, das Ave Maria. Doch das, was ich nun bekam, erschien mir ohnehin viel besser: eine Wand, die sich anfühlte, als wäre ich zu Hause. Als sie fertig tapeziert und gestrichen war, stank es in dem kleinen Verlies so stark nach Chemie, dass mir über Tage hinweg übel war. Die Ausdünstungen der frischen Farbe waren zu viel für den kleinen Ventilator.
Dann folgte der Einbau meines Hochbetts. Priklopil brachte Bretter und Pfosten aus hellem Kiefernholz ins Verlies, die er sorgfältig miteinander verschraubte. Als das Bett stand, nahm es auf einer Höhe von gut einem Meter fünfzig fast die ganze Zellenbreite ein. An der Decke darüber durfte ich noch eine Verzierung anbringen. Ich entschied mich für drei rote Herzen, die ich vorsichtig aufmalte. Sie waren für meine Mutter bestimmt. Wenn ich sie ansah, konnte ich an sie denken.
Am kompliziertesten gestaltete sich der Einbau der Leiter: Sie passte wegen des ungünstigen Winkels, in dem der Vorraum vom Verlies abgetrennt war, nicht durch die Tür. Der Täter versuchte es wieder und wieder, bis er plötzlich verschwand und mit einem Akkuschrauber zurückkam. Damit zerlegte er die Bretterwand, die den Vorraum unterteilte, bugsierte die Leiter ins Verlies - und zog noch am gleichen Tag die Wand wieder ein.
Beim Einbau meiner neuen Regale erlebte ich zum ersten Mal eine Seite des Täters, die mich zutiefst erschreckte. Bis dahin hatte er mich manchmal angeschrien, er hatte mich niedergemacht und beschimpft und mir alle möglichen schlimmen Strafen angedroht, um mich zur Kooperation zu zwingen. Aber nie hatte er die Kontrolle über sich verloren.
Er stand mit der Bohrmaschine in der Hand vor mir und schraubte gerade ein Brett fest. Die gemeinsame Arbeit im Verlies hatte mich etwas zutraulicher gemacht, und ich platzte mit meiner Frage einfach so heraus: »Warum schraubst du das Brett denn genau da hin?« Dass ich nur dann sprechen durfte, wenn er mich dazu aufforderte, hatte ich einen Moment lang vergessen. In Bruchteilen von Sekunden bekam der Täter einen Wutanfall, brüllte mich an - und schleuderte die schwere Bohrmaschine nach mir. Ich konnte mich im letzten Augenblick ducken, bevor sie hinter mir gegen die Wand krachte. Ich war so erschrocken, dass mir die Luft wegblieb und ich ihn nur mit großen Augen ansah.
Der plötzliche Gewaltausbruch hatte mich zwar nicht körperlich getroffen, die Bohrmaschine hatte mich nicht einmal berührt. Aber dieser Vorfall grub sich tief in meine Psyche. Denn er brachte eine neue Dimension in die Beziehung zum Täter: Ich wusste nun, dass er mir auch weh tun würde, wenn ich mich ihm widersetzte. Das machte mich ängstlicher, gefügiger -
In der Nacht nach dem ersten Gewaltausbruch des Täters lag ich oben auf der dünnen Matratze in meinem neuen Hochbett. Das klappernde Geräusch des
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