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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Freund Holzapfel verbrachte. Er bereitete sich akribisch darauf vor und kaufte immer die größten, teuersten Raketen. Einmal, ich muss 14 oder 15 gewesen sein, durfte ich aus dem Inneren des Hauses zusehen, wie er am frühen Abend eine Rakete in die Luft jagte. Und mit 16 war ich sogar draußen im Garten mit dabei und sah zu, wie eine Rakete einen Regen silberner Kugeln über den Himmel streute. Aber das war bereits zu einer Zeit, als die Gefangenschaft schon zu einem so festen Bestandteil meines Selbst geworden war, weshalb der Täter sich traute, mich in den Garten mitzunehmen. Er wusste, dass mein inneres Gefängnis inzwischen so hohe Mauern hatte, dass ich die Gelegenheit zur Flucht nicht ergreifen würde.
     
    * *  *
     
    Das Jahr, in dem ich entführt wurde, war vorüber, und ich war immer noch gefangen. Die Welt draußen rückte immer weiter weg, die Erinnerungen an mein früheres Leben wurden schemenhafter und schienen mir unwirklich. Es fiel mir schwer zu glauben, dass ich noch vor weniger als einem Jahr ein Volksschulkind gewesen war, das am Nachmittag spielte, Ausflüge mit seinen Eltern machte, ein normales Dasein führte.
    Ich versuchte, mich mit dem Leben, in das ich hineingezwungen geworden war, so gut es ging abzufinden. Das war nicht immer leicht. Die Kontrolle des Täters war weiterhin absolut. Seine Stimme in der Gegensprechanlage raubte mir die Nerven. Ich fühlte mich in meinem winzigen Verlies, als ob ich meilenweit unter der Erde und zugleich in einem Schaukasten leben würde, in dem man mich bei jeder Bewegung beobachten konnte.
    Meine Besuche oben im Haus fanden nun regelmäßiger statt: Etwa alle zwei Wochen durfte ich oben duschen und manchmal ließ er mich abends bei sich essen und fernsehen. Ich freute mich über jede Minute, die ich außerhalb des Verlieses verbringen durfte - doch im Haus hatte ich immer noch Angst. Ich wusste zwar inzwischen, dass er dort allein wohnte und mir kein Fremder auflauern würde, aber meine Nervosität nahm kaum ab. Er sorgte mit seiner eigenen Paranoia dafür, dass selbst ein kurzer Moment der Entspannung unmöglich war. Wenn ich oben war, schien ich wie mit einer unsichtbaren Leine an den Täter gebunden: Ich musste immer im gleichen Abstand zu ihm stehen und gehen - einen Meter, nicht mehr, nicht weniger, sonst rastete er sofort aus. Er verlangte, dass ich den Kopf immer gesenkt halte, den Blick nie hebe.
    Ich war nach den endlosen Stunden und Tagen, die ich völlig isoliert im Verlies verbrachte, sehr anfällig für seine Anweisungen und Manipulationen. Der Mangel an Licht und menschlichem Umgang hatte mich so geschwächt, dass ich ihm nicht mehr entgegensetzen konnte als einen gewissen Grundwiderstand, den ich nie aufgab und der mir half, die Grenzen zu ziehen, die ich als unabdingbar sah. An Flucht dachte ich kaum noch. Es schien, als würde die unsichtbare Leine, an die er mich oben legte, immer realer werden. Als wäre ich tatsächlich an ihn gekettet und physisch nicht imstande, mich mehr als einen Meter von ihm weg- oder zu ihm hinzubewegen. Er hatte die Angst vor der Welt draußen, in der man mich nicht liebte, mich nicht vermisste, mich nicht suchte, so gut in mir verankert, dass sie fast größer wurde als meine Sehnsucht nach Freiheit.
    Wenn ich im Verlies war, versuchte ich, mich so gut wie möglich zu beschäftigen. An den langen Wochenenden, die ich allein verbrachte, putzte und räumte ich nach wie vor stundenlang, bis alles glänzte und frisch duftete. Ich malte viel und nutzte noch das kleinste Fitzelchen Papier auf meinem Block für Bilder: meine Mutter in einem langen Rock, mein Vater mit seinem dicken Bauch und seinem Schnurrbart, ich lachend dazwischen. Ich malte die strahlend gelbe Sonne, die ich seit vielen, vielen Monaten nicht mehr gesehen hatte, und Häuser mit rauchenden Schornsteinen, bunte Blumen und spielende Kinder. Phantasiewelten, die mich für Stunden vergessen ließen, wie meine Wirklichkeit aussah.
    Eines Tages brachte mir der Täter ein Bastelbuch. Es war für Vorschulkinder und stimmte mich eher traurig, als dass es mich aufheiterte. Das lustige Papier-Flieger-Fangen war auf fünf Quadratmetern schlicht nicht möglich. Ein besseres Geschenk war die Barbie-Puppe, die ich wenig später bekam, und ein winziges Näh-Set, wie sie manchmal in Hotels ausliegen. Ich war unendlich dankbar für diese langbeinige Person aus Plastik, die mir nun Gesellschaft leistete. Es war eine Reiter-Barbie mit hohen Stiefeln, weißer Hose,

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