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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Angst ein. Andererseits kreiste ich wieder und wieder um den Gedanken, dass Weihnachten bei meiner Familie ohnehin nur enttäuschend war. Und dass ich die Vergangenheit in meiner Isolation sicher verklärte. Ich könnte doch versuchen, Weihnachten im Verlies so nahe wie möglich an meine Vorstellungen heranzubringen. Aus ein paar Versatzstücken wollte ich mir ein Fest machen, das mir Anknüpfungspunkte für meine Phantasiereisen zu den Weihnachtstagen bei meiner Großmutter bot.
    Der Täter spielte mit. Damals war ich ihm unendlich dankbar dafür, dass er mir den Anschein echter Weihnachten ermöglichte. Heute denke ich, dass er es wohl nicht für mich getan hat, sondern einem inneren Zwang folgte. Auch für ihn war das Begehen von Feiertagen enorm wichtig - sie gaben Struktur, sie folgten gewissen Regeln, und ohne Regeln und Strukturen, an die er sich in fast lächerlicher Striktheit hielt, konnte er nicht leben. Natürlich hätte er trotzdem nicht auf meine Wünsche eingehen müssen. Dass er es dennoch tat, mag auch damit zusammenhängen, dass er dazu erzogen worden war, Erwartungen zu erfüllen und dem Bild zu entsprechen, das andere von ihm haben wollten. Heute weiß ich, dass er vor allem in der Beziehung zu seinem Vater an ebendiesen Vorgaben immer wieder gescheitert ist. Die Anerkennung, die er von ihm so dringend hätte haben wollen, blieb ihm offensichtlich über weite Strecken versagt. Mir gegenüber war diese Haltung nur in Phasen da, aber dann war sie besonders absurd. Er hatte mich schließlich entfuhrt und im Keller eingesperrt. Das ist eigentlich keine Situation, in der man auf die Erwartungen seines Gegenübers und Opfers Rücksicht nehmen muss - es war, als würde er jemanden erwürgen und dabei fragen, ob er gut liege und der Druck so angenehm sei. Doch damals blendete ich das alles aus. Ich war voll dankbarem kindlichem Staunen, dass der Täter sich um mich kümmerte.
    Ich wusste, dass ich keinen echten Weihnachtsbaum bekommen würde, also wünschte ich mir einen aus Plastik. Wir packten die Schachtel gemeinsam aus und stellten den Baum auf eines der Schränkchen. Ich bekam ein paar Engel und Süßigkeiten und nahm mir viel Zeit, um den kleinen Baum zu dekorieren.
    Am Weihnachtsabend selbst war ich allein und sah fern, bis das Licht ausging, verzweifelt bemüht, nicht an meine Familie zu Hause zu denken. Der Täter war, wie auch an den nächsten Weihnachten, bei seiner Mutter, oder sie bei ihm - das wusste ich damals allerdings noch nicht. Erst am nächsten Tag feierte er mit mir. Ich war sehr erstaunt, dass er mir alle meine Wünsche erfüllte. Ich hatte mir einen kleinen Lerncomputer gewünscht, wie ich ihn im Jahr davor von meinen Eltern bekommen hatte. Er war bei weitem nicht so gut wie mein erster, aber ich war überglücklich, dass ich nun auch ohne Schulunterricht lernen konnte. Schließlich wollte ich nicht völlig zurückgeblieben wirken, falls ich doch einmal freikommen sollte. Ich bekam einen Malblock und einen Kasten mit Pelikan-Wasserfarben. Es war der gleiche, den mir mein Vater einmal geschenkt hatte: mit 24 Farben, inklusive Gold und Silber, als hätte mir der Täter ein Stück meines Lebens zurückgeschenkt. Im dritten Päckchen war ein Set »Malen nach Zahlen« mit Ölfarben. Auch das hatte ich zu Hause schon gehabt, und ich freute mich auf die vielen Stunden Beschäftigung, die das akribische Ausmalen versprach. Das Einzige, das mir der Täter nicht gab, war das Terpentin dazu. Er fürchtete wohl, dass es in dem kleinen Verlies schädliche Dämpfe entwickeln könnte.
    Die Tage nach Weihnachten war ich mit Malen und mit meinem Lerncomputer beschäftigt. Ich versuchte, das Positive an meiner Situation zu sehen und den Gedanken an meine Familie so weit wie möglich zurückzudrängen - auch, indem ich mir die schlechten Seiten der letzten gemeinsamen Weihnachten vor Augen hielt. Ich versuchte mir einzureden, dass es doch ganz interessant sei, einmal zu erleben, wie andere Erwachsene feierten. Und ich war über die Maßen dankbar, dass ich überhaupt ein Weihnachtsfest bekommen hatte.
    Den ersten Jahreswechsel in Gefangenschaft verbrachte ich allein in völliger Dunkelheit. Ich lag auf meinem Hochbett und lauschte angestrengt, ob ich das Feuerwerk, das oben in der anderen Welt um Mitternacht stattfand, hören konnte. Aber nur das monotone Ticken des Weckers und das Klappern des Ventilators drangen an mein Ohr. Später erfuhr ich, dass der Täter die Silvesterabende immer mit seinem

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