31 - Und Friede auf Erden
die also des Gerichtes, des Rates und des höllischen Feuers schuldig sind, werden heut in die Kirchen gehen und die Predigt über diesen Text nicht im geringsten auf sich selbst beziehen! – „Du sollst nicht töten!“ Wenn schon die Beleidigung dem Mord gleich zu achten ist, was soll man da erst über die Arten und Abarten des wirklichen Mordes sagen! Mir wird angst!
Es läutet zwar jetzt zum zweiten Mal, aber ich gehe nicht; ich bleibe daheim! Ich will, während die ersten Töne der Orgel zu mir herüberklingen, das Buch über die Heldentaten der christlichen Krieger auf den chinesischen Schlachtfeldern lesen und dann hierauf den Schluß meiner friedlichen Geschichte erzählen. Ich brauche viel Sonnenschein dazu, viel Liebe und viel Versöhnlichkeit, und das ist nirgends so wie hier bei mir in meinem Heim zu finden.
Ich denke mich also wieder hin nach Kota Radscha, wo ich schon vorhin war, und höre den alten, ehrwürdigen malaiischen Priester zu John Raffley sagen:
„Und steigt in meines Lebens Abendröte von Westen her ein lieber Gruß empor, umsäumt vom goldenen Licht dessen, was ich wünsche, so ist es kein Abschied gewesen, den wir jetzt hier nehmen, sondern Ihr seid bei mir geblieben in Eurer Liebe, wie ich Euch begleitet habe mit der meinigen. Vergeßt nicht diese meine Worte, und laßt den Gruß mir steigen! Ich möchte ihn so gern noch sehen, bevor mein Abendrot zur Morgenröte wird!“
Zudem ich diese seine Worte zum zweiten Male niederschreibe, hier im Abendland, im Westen, von wo aus er sich einen lieben Gruß ersehnt, bevor sein Geist im Morgenland zur Abendröte steigt, klingt aus der Kirche die Responsorie zu mir herüber: „Der Herr sei mit euch!“ singt der Pfarrer. „Und mit deinem Geiste!“ antwortet die Gemeinde. Ja, wüßte dieser Geist den Weg von hier nach dort! Ich wollte ihn bitten, unsere Grüße dem Osten zuzutragen, heute, bald, solange es noch am Tag des Schaffens ist! Ich wollte ihm sagen, daß auf den fernen Atjeh-Bergen ein liebes, klares Augenpaar allabendlich in die niedersteigende Sonne schaut, ob nicht ein kleines, goldumsäumtes Wölklein sich am Himmel zeige, um den Durst des Morgenlandes zu stillen, wie einst jenes lang ersehnte, handgroße, aber dunkle Wölkchen des Elias auf dem Berg Karmel. Und ich wollte ihm alle, alle Liebe mitgeben, die ich in meinem Herzen für die Menschheit trage, damit alle dort Aufschauenden erfahren möchten, daß wir unsere Augen nicht vor ihnen niederzuschlagen haben. Aber nein; das ist ja doch nicht möglich! Warum? Die Grüße, welche wir ihnen senden, riechen nach Pulver. Aus den Wolken, die von uns zu ihnen gehen, brüllt der Donner der Geschütze. Und das ganze, große Reich der Liebe, welches wir bei ihnen gegründet zu haben behaupten, ist in – – – christliche ‚Interessen‘-Sphären eingeteilt!
Wie begann doch gleich das Gedicht des alten Malaien? „O komm, sei wieder Gast auf Erden, du gottgesandter Menschheitschrist!“ Dieser Ruf der gelben Rasse blieb nicht unerhört: Der Christ ist gekommen, in kaukasischer Gestalt und Farbe. Hat er ihnen beigebracht, was die Engel bei Christi Geburt der Menschheit verhießen? Den Frieden auf Erden? Damals kamen die Könige und Weisen des Morgenlandes, um dem Erlöser Anbetung, Gold und Weihrauch darzubieten, freiwillig, unaufgefordert; es war ihnen nichts so köstlich, daß sie es ihm nicht gern geopfert hätten! Gegenwärtig aber gibt es Leute, welche behaupten: „Das war damals, vor zweitausend Jahren, als ‚der Christ‘ noch in den Windeln und in der Krippe lag; da mußte man ihm alles bringen. Jetzt aber ist er Mann geworden. Da wartet er nicht, bis man zu ihm kommt, sondern er geht, um selbst zu holen, was ihm gebührt: Gold, Gold, Gold! Und den Weihrauch? Auch den streut er sich dann selbst; das ganze Abendland durftet nach diesem ihm doch eigentlich ganz fremden Harz!“
Enthalten diese Behauptungen Wahrheit oder Lüge? Es ist nicht meine Aufgabe, zu antworten, sondern zu erzählen. Und indem ich nun damit beginne, erklingt da drüben in der Kirche die Orgel von neuem. Der Kantor spielt das ‚Große Halleluja‘ von Händel. Ich höre es bis zu Ende. Dann aber ist es, als ob jemand hinter mir stehe, wie einst hinter dem Governor. Lind weht es um mich her, und eine leise Stimme spricht in mir:
„Der Habsucht sei das Gold beschieden,
Der Weihrauch dem, der Weihrauch liebt,
Uns Armen aber gib den Frieden,
Den uns kein Fürst, kein Weiser gibt!“
Die letzten
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