31 - Und Friede auf Erden
hatte, sagte er:
„Das sind alles Dummköpfe oder Lügner! Ich fragte gestern abend den Kapitän, und er sagte, um zehn Uhr. Dann fragte ich den Ersten Offizier, und er sagte, um zwölf Uhr. Hierauf fragte ich den Zweiten Offizier, und er sagte, um elf Uhr. Du aber, Sihdi, hast gesagt, halb zehn Uhr, und das ist richtig! Es ist aber immer so und wird auch so bleiben: du weißt alles richtig, und andere Leute wissen alles falsch; manchmal wissen sie es auch gar nicht!“
Der gute Omar hatte nämlich die Eigenheit, mich für allwissend zu halten. Das kam daher, daß ich niemals etwas zu ihm sagte, wofür ich nicht einstehen konnte. Sein Vertrauen zu meinem Wort war geradezu rührend. Er stand jeden Augenblick bereit, auf mich zu schwören. Seine eigene Wahrheitsliebe hatte mich verpflichtet, gegen ihn, selbst im Scherz, auch nur wahr zu sein. Das stach freilich so sehr gegen die orientalische Weise ab, daß er mich verehrte, wie wohl noch niemand von ihm verehrt worden war. Ich bemerkte oft, wenn ich mich plötzlich nach ihm umdrehte, daß sein stiller Blick mit Liebe auf mir geruht hatte; er fühlte sich dann ertappt und errötete wie ein kleines Mädchen. Andere Herren sagten mir aufrichtig, daß sie mich um die Anhänglichkeit dieses Dieners beneideten. Auf diesem Wege erfuhr ich auch, wie er mich gegen andere zu nennen pflegte: „Unser Herr!“ Waren wir auf einem Schiff, so war ich in seinem Auge der vornehmste Herr an Bord, und er nannte mich selbst gegen den Kapitän nicht anders als ‚unser Herr‘. Im Hotel mußte es sich der Wirt gefallen lassen, daß Omar nicht ihn, sondern mich als ‚unsern Herrn‘ bezeichnete. Und selbst wenn ich Gast des Vizekönigs von Indien gewesen wäre, so hätte dieser hören müssen, daß ich ‚unser Herr‘ sei, nicht aber er. So kam es, daß ich überall, wohin wir kamen, sehr bald von aller Welt, natürlich hinter meinem Rücken und in scherzhafter Weise als ‚unser Herr‘ angegeben, verkündigt und erläutert wurde. Ich hatte ihm zwar zu verstehen gegeben, daß ich nur sein, nicht aber auch der Herr aller anderen Leute sei, doch vergeblich; er blieb bei seiner Verehrung und also auch bei ‚unserm Herrn‘. Und wie er keinem andern als nur mir vertraute, so stand es auch jetzt ganz unerschütterlich bei ihm fest, daß wir trotz der Aussagen des Kapitäns und seiner beiden Offiziere und trotz aller ihrer nautischen Berechnungen halb zehn Uhr in Colombo eintreffen würden, und zwar allein nur deshalb, weil ich es gesagt hatte.
Er sah mich forschend an, um zu ergründen, ob er weitersprechen dürfe, und da ich nicht abmahnend dreinschaute, fuhr er fort:
„Sihdi, ist Ceylon die große, schöne Insel, welche arabisch Quelb esch Schark (Herz des Ostens) genannt wird?“
„Ja. Sie ist sehr schön, und du wirst viele Orte von ihr kennenlernen.“
„Was für Menschen wohnen da?“
„Singhalesen, Tamilen, eingewanderte Araber, Malayen und Mischlinge. Die Leute, welche hier auf diesem Deck sitzen, sind meist Singhalesen.“
Er schnipste abwehrend mit den Fingern und sagte:
„Ich habe sie beobachtet. Sie sind ja Abadet el Assnam (Götzendiener), die man nicht berühren darf, wenn man sich nicht verunreinigen will. Es wird mir keiner zu nahe kommen, und tut er es, so wehre ich ihn mit dem Stock von mir ab!“
Da legte ich ihm die Hand wie damals auf die Schulter, sah ihn ernst an und warnte:
„Du bist Sejjid Omar, aber noch immer nicht ein guter Mensch. Wer kein guter Mensch ist, der kann auch kein guter Moslem sein. Wir sind alle Brüder. Wohnt der Glaubensirrtum etwa im Körper? Wie kann dich die Berührung des Leibes, der mit dem Glauben gar nichts zu tun hat, verunreinigen?!“
Ich drehte mich um und ging. Ich mußte zwischen den Singhalesen hindurch. Es saßen da mehrere Familien beisammen, liebe, freundliche, saubere Menschen, die Väter, die Mütter und die Kinder. Ein kleiner, fast splitternackter Junge war dabei, dunkeläugig, pausbäckig, vollbäuchig, mit quatscheligen Händen und Füßen. Ich hob ihn zu mir empor, küßte ihn auf die Stirn, setzte ihn wieder hin, drückte ihm ein kleines Silberstück in die Miniaturpatschen und ging.
„O Sahib! Sahib is good! Sahib have thank!“ rief es hinter mir her.
Diese Leute sprechen immer einige Brocken englisch. Nach Omar sah ich mich nicht um. Er hatte seine Lehre und seine Strafe weg!
Es war für mich gar nicht schwer gewesen, zu bestimmen, wann wir ankommen würden. Man weiß ja ganz genau, wieviel
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