31 - Und Friede auf Erden
standen ganz ebenso wie die übrigen ‚Zivilisatoren‘ von fern und schienen gar nicht zu begreifen, daß man sich mit einer so tief stehenden Persönlichkeit in dieser Weise beschäftigen könne.
„Nun, Sihdi, kann ich schwimmen?“ fragte mich der Sejjid, als er endlich Zeit fand, auch zu mir zu kommen.
„Vortrefflich, Omar, vortrefflich!“ antwortete ich. „Du hast es im Nil gelernt?“
„Ja. Aber sooft ich nach Port Said kam, bin ich im Meer weit über den Franzosen hinausgeschwommen. Es ist so schön, zu wissen, daß man nicht untergeht!“
Mit diesem ‚Franzosen‘ meinte er das überlebensgroße Standbild, welches man Lesseps, dem Schöpfer des Suezkanals, dort mitten in brandenden Wogen errichtet hat.
„Aber gefressen kann man werden! Nimm dich später in Port Said in acht! Mir selbst ist es mitten im Hafen zweimal passiert, daß ein Haifisch an meinem Boot vorüberschwamm.“
„O Sihdi, wenn Allah nicht will, so darf sogar der Haifisch nicht! Der Islam glaubt an zwei Engel, die stets bei jedem Menschen sind. Dieser sieht sie zwar nicht, aber sie schützen ihn in jeder Not und Gefahr, und ihr Schutz hat nur dann keine Kraft, wenn der Mensch aufgehört hat, gut zu sein. Weißt du, Sihdi, ich denke, diese beiden Engel sind es, die den Gentleman aus dem Wasser geholt haben; nicht ich bin es gewesen. Sie haben es durch meine Hand getan, weil ich schwimmen kann. Ob er gerettet ist, weiß ich nicht. Als ich ihn erreichte, war kein Leben mehr in ihm; er wurde vom Wasser wie ein Stück Holz hin und her geworfen. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn er erwachte!“
„Unser Feind!“ warf ich ein.
„Das ist er nicht mehr. Wir haben ihn die Treppe hinuntergeworfen; das war die Strafe. Und wenn die Strafe vorüber ist, so ist auch die Tat vorüber; man darf nicht mehr an sie denken. Wozu wäre denn die Strafe, wenn die Tat noch bliebe? So denke ich, Sihdi! Denkt ihr Christen etwa anders? Werft ihr einem Mann, welcher bestraft worden ist, die Strafe und die Tat später noch vor? Und nun ich diesem Fremden nachgeschwommen bin, um ihn zu retten, ist es mir, als ob das Andenken an seine Ungezogenheit da draußen im Wasser ertrunken sei. Kann man einem Menschen Gutes erweisen und dann noch bös über ihn denken?“
Ich gestehe offen: als er das sagte, schämte sich etwas in mir, dem Europäer und Christen, vor ihm, dem Araber und Mohammedaner. Und dieser so richtig fühlende und edel denkende Afrikaner war – – – ‚ein Eselsjunge‘!
Der Arzt kam nicht eher wieder herauf, als bis wir im Hafen von Penang Anker warfen. Es waren eine ganze Stunde lang künstliche Bewegungen notwendig gewesen, um den Atem wiederzubeleben, doch nun erfuhren wir, daß der Patient gerettet sei.
„Jetzt schläft er und wird in einigen Stunden an das Land gehen können“, meinte der Doktor. „Aber es steht außer allem Zweifel, daß er sein Leben Ihrem Araber verdankt. Das habe ich ihm gesagt als er für kurze Zeit erwachte. Omar hat ihn so lange über Wasser gehalten, bis wir kamen; hätte er das nicht getan, so wären wir eben – – – zu spät gekommen.“
Als der Sejjid mich fragte, wo wir wohnen würden, zeigte ich ihm das ‚East and Oriental Hotel‘, welches wir im Schatten hoch- und vollwipfeliger Bäume von unserm Ankerplatz aus am nahen Strand liegen sahen. Aber trotz dieser Nähe mußten wir nach der Landung per Rikscha einen weiten Umweg durch einen großen Teil der Stadt machen, um nach diesem Haus zu gelangen.
Mein Abschied vom Kapitän war herzlich. Es ist nun einmal so, ich habe ein Faible für jeden Österreicher, und wer das für einen Fehler hält, der mag ihn mir verzeihen! Freilich, wenn man mich fragte, für welche Nationalität ich kein Faible habe, so käme ich wohl in Verlegenheit, denn ich bin ihnen allen, allen gut. Und das soll man ja wohl auch!
Ich hatte gedacht, Sejjid Omar würde wohl nicht gern eher vom Schiff gehen, als bis sich der Engländer sehen ließ. Einen Dank hatte er verdient, und es wäre ganz menschlich gewesen, so lange an Bord zu bleiben, bis er ihn bekommen würde – ein freundliches, anerkennendes Wort, nichts weiter. Aber er schien gar nicht daran zu denken und war von allen Passagieren der erste, welcher nach einem der vielen eigenartig gebauten, bunt bemalten Landungsboote rief. Daß er dies malaisch tat, versteht sich ganz von selbst; er hatte die dazu nötigen Worte auswendig gelernt.
Hier waren unsere Rikschamänner nicht Singhalesen oder Tamilen,
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