31 - Und Friede auf Erden
dann ging er nach seinem Platz. Man kann sich denken, mit welcher allgemeinen Spannung dem Erscheinen Omars entgegengesehen wurde. Er befand sich drüben in meiner Wohnung; aber es dauerte doch einige Zeit, ehe er kam. Der Grund dieser Verzögerung lag darin, daß er sich von dem nach ihm geschickten Kellner hatte erzählen lassen, um was es sich eigentlich handle. Wie ich ihn kannte, war ich überzeugt, daß sich die Gentlemen nun auf eine zweite Niederlage gefaßt zu machen hatten. Er kannte in puncto Ehre keinen Spaß!
Endlich stellte er sich ein, in seinem besten arabischen Gewand, mit dem seidenen Unterkleid, nicht den Tarbusch, sondern den Turban auf dem Kopf. Dilke rief ihm zu:
„Komm her zu uns, und setze dich! Du sollst mit uns speisen.“
Also keine höfliche Einladung, sondern viel eher ein Befehl! Noch dazu per du! Da hatte er sich in Omar freilich verrechnet! Dieser nahm seine würdevollste Haltung an, ging bis zur Hälfte zu ihm hin, blieb dann stehen und fragte englisch:
„Was hast du gesagt? Ich soll mit euch speisen? Ich soll? Weißt du, ich bin Sejjid Omar, der niemals soll, sondern nur das tut, was er will!“
„Es ist aber befohlen worden!“ versuchte Dilke, sich aus der Verlegenheit zu reißen.
„Befohlen? Wem? Jedenfalls nur euch! Denn ihr tut das, was sich schickt und was sich gehört, nur auf Befehl. Ich aber tu es freiwillig und weil ich es liebe. Guten Menschen befiehlt selbst Allah nicht, sondern er bittet bloß. Mit solchen aber, die nicht gut sind, esse ich weder freiwillig und noch viel weniger gezwungen. Ich danke für deinen Befehl!“
Er drehte sich um und wollte wieder gehen. Da sprang der General auf und rief ihm zu:
„Sejjid Omar, das haben Sie gut gesagt. Ich achte Sie! Darum bitte ich Sie, hierherzukommen und mit mir zu speisen. Meine Frau, die Generalin, wird Sie gern an ihrer Seite sehen. Wollen Sie?“
Da kreuzte Omar seine Arme auf der Brust, verbeugte sich und antwortete:
„Mein Sihdi hat mich gelehrt, Old England liebzuhaben, und wen ich liebe, dem schlage ich keinen Wunsch ab, den ich erfüllen kann.“
„So kommen Sie! Die Leute dort aber habe ich heut noch zu lehren, höflich zu sein, zumal wenn es sich um meine Befehle handelt!“
Die beiden Damen nahmen den Sejjid zwischen sich. Ihre lieben Gesichter glänzten vor Freude über den sonderbaren, aber ganz gewiß herzlich willkommenen Gast, der sich in so höflicher und fehlerloser Weise zu ihnen setzte und schon bei den ersten Griffen nach Messer und Gabel verriet, daß sie sich seiner sicherlich nicht zu schämen brauchten. Übrigens muß ich sagen, daß Omar zwar am liebsten auf arabische Weise, also mit den zehn Fingern, aß; aber seit er bei mir war, hatte er gelernt, auch mit dem Besteck in der Weise umzugehen, als ob er das von Jugend auf nicht anders gewohnt sei. Die tiefe, ernste Feierlichkeit, welche dann jede seiner Handbewegungen charakterisierte, war für jeden andern einfach unerreichbar. So auch hier! Er saß in einer Haltung zwischen den Herrschaften, als ob nicht sie ihn, sondern er sie zu Gast geladen habe, und benahm sich zwar sehr freundlich, aber dabei so gesetzt und würdevoll, daß es ihnen gewiß nicht einfallen konnte, ihn als den Beschenkten zu betrachten. Dem unverdorbenen Orientalen ist jene ungekünstelte Unnahbarkeit eigen, welche auch sein Land, nicht aber der Okzident besitzt.
Nur ich allein, der ich ihn genau kannte, konnte bemerken, daß es doch etwas gab, was ihn genierte, und das war meine Anwesenheit. Darum beeilte ich mich, mit meinem Menü zu Ende zu kommen, und stand dann auf, um den Saal zu verlassen. Da erhob man sich auch an dem andern Tisch. Der Kapitän und der General gaben mir die Hände, und ich gestehe aufrichtig, daß ich gerührt war, als mir die beiden Damen dann auch die ihrigen reichten. Die Menschen sind allüberall gut, wenn sie sich damit begnügen, nichts weiter sein zu wollen als eben nur – – – gute Menschen! – – –
DRITTES KAPITEL
Die ‚Shen‘
Dem mit dem Dampfer nach dem Osten kommenden Reisenden treten hier in Penang zum ersten Mal chinesische Gestalten, Formen und Gebräuche in der Weise entgegen, daß sein Auge von ihnen gefesselt wird. Er findet das, was er sieht, so überaus fremdartig, seinem gewohnten Fühlen und Denken so fern liegend, daß er sich unwillkürlich fragt, ob es ihm möglich sein werde, unter diesen neuen Eindrücken der alte zu bleiben. Und er hat ein Recht, einen schwerwiegenden Grund zu dieser
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