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Heino, und wenn er um die Ecke ist, singen wir leise »Heino, Heino, deine Welt ist die Wurstfabrik«. Wir haben das ganze Heidi-Lied so umgearbeitet, dass wir eine komplette Strophe mit Metzger-Begriffen durchsingen können. »Rinderwürste im Sonnenschein« und so. Sobald der Heino das hört, ruft er zu uns rüber: »Ihr singt so scheiße!«
Aber egal, wie lustig es ist, einer hat immer seine Betonmiene drauf: Ufuk, der türkische Brecher mit dem Armani-Anzug, der mir am ersten Tag auf dem Hof so den Blick gegeben hat. Er ist uns erst vor ein paar Tagen zugeteilt worden. Hat kein Wort gesagt, stellt sich einfach neben die Vakuummaschine mit seinen riesigen Fäusten und tut nix. Gar nix.
»Wenn das der Beamte sieht«, sage ich so.
Und er: »Wieso, ich mach doch nix.«
Laut Knastfunk muss der Ufuk früher mal ein bekannter Boxer gewesen sein, bevor er mit Drogen, Waffenhandel und Prostitution zu tun bekam und sie ihn mit Haftbefehl gesucht haben. Eine Weile hat er angeblich in der Türkei sein Unwesen getrieben, dann kam er zurück, weil er dachte, die Sache sei verjährt. War sie aber nicht. Sie haben ihn kassiert, er ist geflüchtet, sie haben ihn wieder kassiert, und jetzt hat er noch zwei Jahre. Ich weiß natürlich nicht, ob er ein Mörder ist oder so, aber ich mache trotzdem immer Späßchen mit ihm. Irgendwie scheint er mich zu mögen.
Gestern zeigt er mir sein Humpelbein. Er zieht das Hosenbein hoch, und ich sehe, dass sein Fuß in einem orthopädischen Schuh steckt, und auf der Wade sind überall Einschusslöcher.
»Hat jemand ’ne Kalaschnikow drüber gehalten«, sagt er.
Vor knapp einer Woche sah es noch so aus, als würden der Wetzel und ich Krieg haben.
Ich hab die Arbeit in der Metzgerei von Anfang an gemocht. Ich fand das viel besser, als Hausarbeiter zu sein und Toiletten zu putzen oder Hofdienst zu machen, im Sommer Rasen mähen, im Herbst Laub harken und im Winter Schnee schippen. Auf der anderen Seite wurde mir letzte Woche in der Metzgerei einfach zu wenig Wert auf Hygiene gelegt. Nicht bei den Geräten, die sind immer tipptopp, wenn wir sie geputzt haben. Aber da haben zum Teil Leute gearbeitet, die ich aus gesundheitlichen Gründen niemals da ranlassen würde. Da waren zwei Junkies, die hatten Löcher in den Armen vom Spritzen, nicht offen, aber tief. Der eine kratzte sich ständig am Arsch und hatte nicht mal Handschuhe an, der andere blutete, holte sich kein Pflaster, schnitt aber weiter Wurst. Du kannst doch in einem Küchenbetrieb keine Leute einsetzen, die noch nicht mal Interesse an der eigenen Hygiene haben. Da krieg ich die Vollkrise bei so was.
Ich also zum Wetzel: »Ich kann so nicht arbeiten.«
Und er: »Selbstverständlich. Und jetzt Abgang!«
Da hab ich schon gemerkt, dass der Wetzel es gar nicht leiden kann, wenn man ihm seine Metzgerei madig macht.
»Warum mischt du dich auch ein«, sagte Ufuk, als ich ihm an der Wurstschneidemaschine davon erzähle.
Am nächsten Tag bekamen wir eine Ladung Fleisch geliefert, keine Ahnung, woher die kam. Der Wetzel hängt immer am Telefon und versucht, irgendwo billig Lebensmittel abzugreifen. Die JVA muss sparen, und da ist er froh, wenn er zum Beispiel einer Keksfabrik eine Fehlproduktion abkaufen kann. Die Plätzchen sind dann vielleicht nicht rund, sondern eckig, weil die Maschine grade im Arsch war, sie sind aber absolut essbar. Die Anstalt spart Geld, die Gefangenen freuen sich, die Keksfabrik kriegt was für ihren Ausschuss. Sind alle happy. Nun war es bei dem Fleisch aber so, dass das Haltbarkeitsdatum schon um einen vollen Monat überschritten war. Da meinte der Wetzel, ist egal, Etiketten abmachen und runter damit in die Kühlkammer. Aber ich hab mich geweigert. Du kannst doch nicht beispielsweise als Betrüger in den Knast gehen, und dann zwingen dich Beamte, Haltbarkeitsdaten zu entfernen. Damit sagt man dir doch eigentlich, Betrug ist okay, zumindest, solange ihn die Anstalt begeht.
»So was darf doch nicht sein«, sagte ich zu Ufuk.
Und er: »Was machst du für Wind, Oli? Willst du hier der Märtyrer werden oder so? Der macht dich platt.« Ich bin trotzdem zum Wetzel und hab das angesprochen. Ich musste aber einsehen, dass Ufuk Recht hatte. Der Wetzel kann gnadenlos sein. Auf der anderen Seite waren am nächsten Tag die Junkies weg.
Wetzel verlässt die Zentrale nur mittags, wenn Feierabend ist und er kontrollieren muss, ob wir die Geräte sauber gemacht haben. Wenn er dann am Fleischwolf auch nur einen Fetzen
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