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findet, brüllt er rum, dass du denkst, er nimmt ein Messer und sticht einen ab. Der Wetzel kann unglaublich rumkrakeelen, aber er beruhigt sich auch schnell wieder.
Dann sagt er gern: »Stein, gehen Sie mal in die Kühlkammer und holen ’n paar Steaks. Wir grillen uns jetzt noch was.«
Da stehst du dann hinter der Halle und grillst mit deinem Beamten, als wäret ihr zusammen bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Es ist morgens halb acht, und wir albern grade wieder so herum, als mich der Herr Wetzel auf die Metzgerzentrale rufen lässt. Sie liegt am Ende der Halle, eine Stahltreppe hoch, und ist wie alle Zentralen von Panzerglas umgeben. Dahinter wackelt schon der rote Kopf vom Wetzel. Aber heute, das ist klar, geht’s ihm nicht ums Essen. Ich stehe noch nicht mal in der Tür, da hält er mir die BILD -Zeitung hin.
»Haben Sie das gesehen, Stein?«
»Was gesehen?«
»Den Artikel über Sie, der da drinsteht.«
»Interessiert mich nicht.«
Er liest ihn mir natürlich trotzdem vor.
In dem Artikel heißt es, dass ich allein in einer Luxuszelle leben würde, mit Fernseher und Kühlschrank und allem drum und dran, dass ich in der Knasthierarchie ganz unten stehe, so eine Art Bettler oder Diener, und nichts zu melden habe und von allen Gefangenen nur »Opfer« gerufen werde. Aber vor allem das mit der Hierarchie ist absurd, weil es im Regelvollzug diese Art Hierarchie sowieso nicht gibt, und selbst wenn, wäre niemand so dumm, von sich zu behaupten, er sei da ganz oben. Ich? Hierarchie? Ich weiß überhaupt gar nicht, wie man Hierarchie schreibt.
Es ist der übliche Mist, angerührt aus dem, was ein paar Freigänger den Reportern, die vor dem Gefängnis warten, erzählt haben. Einer von ihnen ist sogar zitiert. Mir sagt der Name nichts. Aber Herr Wetzel scheint ihn zu kennen.
»Was ist denn das für ’ne Scheiße?«, brüllt er, nachdem er mir den Artikel vorgelesen hat. »War das dieser Typ aus Haus B, die halbe Portion? Wenn ich den sehe, der kriegt sofort eine rein.«
Ich noch so: »Lassen Sie mal.«
Aber Wetzel: »Wie, mal lassen? Scheiße, Sie machen hier anständig Ihren Job, Sie mucken überhaupt nicht auf und so, Sie bringen hier gute Stimmung rein und singen sogar tolle Lieder, und dann schreiben die so ’ne Scheiße. Ist das immer so?«
Ich erkläre ihm, wie das mit den Zeitungen läuft, und wundere mich, dass er das nicht weiß, wo er doch jeden Tag BILD -Zeitung liest. Aber er hört mir gar nicht zu, er redet immer weiter.
»Das ist ’ne Riesenfrechheit, ist das. Man müsste den Chefredakteur sofort einsperren und die ganzen Sesselfurzer aus dem Verlag gleich mit, die sollen mal sehen, was hier Luxus ist.«
Nach der Schicht stecke ich mir ein paar Äpfel in die Gummistiefel. Ich bring der alten Schildkröte regelmäßig was zu essen vorbei. Sie hat den Artikel natürlich auch gesehen. Jeder hat ihn gesehen. Überall herrscht ein Riesengezeter. Die BILD -Zeitung ist für die Gefangenen eigentlich verboten, aber die Beamten lesen sie alle, und wenn sie damit fertig sind, werfen sie das Ding aus ihren Zentralen raus in den Gang, Raubtierfütterung sozusagen. Darum glotzen mich auf dem Hof heute sogar Leute aus anderen Häusern an, die gar nicht wissen, in was für einer Zelle ich wohne, aber denken, dass es eine Luxuszelle ist, nur weil es in der Zeitung steht. Luxuszelle, Mann, Leute, kennt ihr euren eigenen Knast nicht?
»Was ist das für ein respektloser Dreck?«, sagt Dragan.
Es ist Abend, wir haben Lasagne gemacht und sitzen auf der Zelle. Das heißt, Miro und ich sitzen, Dragan steht. Er führt sich auf, als habe ihn jemand in seiner Jugo-Ehre angegriffen, dabei geht es in dem Scheißartikel um mich. Ich versteh das gar nicht.
»Easy, Dragan«, sag ich, »ich bin das doch gewohnt.«
Dann erklär ich ihm, wie das mit den Zeitungen läuft, anhand der Geschichte, die zu meiner ersten Verurteilung geführt hat.
Und Dragan: »Ja, das kannst du doch nicht auf dir sitzen lassen, das geht doch nicht. Da geht’s um Respekt, Oli, um Ehre.«
»Ja, scheiß drauf. Da rein, da raus.«
»Nein, das geht nicht, da muss was unternommen werden. Du bist ’n Kollege von uns, du rennst mit uns rum, das geht nicht.«
»Dragan, du kannst da überhaupt nichts machen.«
»Ich geh raus, ich red’ mit diesem Wichser, der das geschrieben hat. Morgen rede ich mit ihm.«
»Du willst mit ihm reden?«
»Ich red’ mit ihm, Alter. Morgen, wenn ich zur Arbeit geh’.«
Aber ich sage: »Ich hab eine bessere
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